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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Enderlin längst aus Leibeskräften zu brüllen begonnen, jetzt riss er sich los, stürzte dabei vom Karren, rappelte sich wieder auf und rannte wie von Sinnen davon, in Richtung Fluss. Keiner der Wächter setzte ihm nach, denn Enderlin Schmid hatte seine Strafe hinter sich. Er war frei und gezeichnet bis ans Lebensende.
    Vitus war als einer der Letzten an der Reihe, längst war ihm speiübel nach all dem Schmerzgeschrei, dem Wehklagen, dem Blut- und Brandgestank. Kaum fand er die Kraft, die Leiter hinaufzusteigen. Er rechnete mit dem Schlimmsten, zumindest damit, dass man ihm wie seinem Freund das wirtembergische Hirschhorn auf die Stirn brennen würde. Da hörte er Wortfetzen, zusammenhanglos zunächst, die klangen wie: «seiner jungen Jahre wegen», «verführt worden», «Erbarmen», und dann, ganz deutlich nun, das Urteil: «Im Falle von Vitus Beck, dem einzigen Sohn des Weingärtnermeisters Vinzenz Beck und dessen vor Gott angetrauter Gattin Kathrin Rankin, belassen wir es hiermit bei einer geringfügigen Leibesstrafe von zwölf Rutenstreichen sowie der Ehrenstrafe des Landesverweises auf drei Jahre und drei Tage, während deren der Genannte sich bis auf zwanzig deutsche Meilen der wirtembergischen Grenze nicht nähern darf.»
    Vitus musste sich über das Geländer lehnen, der Scharfrichter riss ihm das zerfetzte Hemd vollends vom Leib undstäupte ihm die Ruten über den Rücken. Schon beim zweiten Hieb platzten die Schwären und Striemen wieder auf, doch Vitus biss die Zähne zusammen, zählte innerlich mit, bis die Zwölf erreicht war. Dann löste man auch ihm die Fesseln.
    Nachdem er mit brüchiger Stimme geschworen hatte, die Strafe anzunehmen und niemals auf Rache zu sinnen, brachte man ihn in den Schatten der Stadtmauer zu der Gruppe von Männern, die noch am selben Tage von Soldaten außer Landes gebracht werden sollten.
    Zur vierten Stunde des Nachmittags war es dann so weit, sie durften Abschied von ihren Angehörigen nehmen. Die Söldner, anständige Kerle, traten beiseite, und so wurde den Gefangenen, wenngleich dies verboten war, Geld, Proviant, kleine Andenken oder andere Kostbarkeiten für die Zeit fern der Heimat übergeben. Vitus’ Mutter reichte ihm ein frisches Hemd und ein neues Lederwams, das sie weiß Gott wo aufgetrieben haben musste. Vor Kummer brachte sie kein Wort heraus. So vorsichtig als möglich nahm sie ihn in die Arme, küsste ihn auf die Stirn und flüsterte: «Gott schütze dich, mein lieber Sohn. Und kehr gesund wieder.»
    Dann küssten ihn seine Schwestern, schluchzend und mit tränennassen Gesichtern. Die älteste gab ihm einen Kanten Brot mit einem Stück Käse sowie einen kleinen Wasserschlauch für unterwegs.
    «Wir haben ihn mit Wein gefüllt, heimlich», flüsterte Rose ihm ins Ohr. «Mit dem stärksten aus Vaters Keller, damit du den Abschied gut überstehst. Und das hier versteck schnell.»
    Sie drückte ihm einen Stoffbeutel in die Hand.
    «Das ist ein Alraunchen, ein echtes! Aus dem Samen eines unschuldig Gehenkten. Sein Zauber wird dir Glück bringen, hab ich gestern von einem Theriakkrämer erstanden.»
    Vitus war gerührt. «Ich hab eine Bitte: Kümmert euch ein wenig um Enderlin. Es geht ihm gewiss nicht gut.»
    Da gab der Trommler das Zeichen zum Aufbruch. Vitus’ Mutter sah fragend zum Vater hin, der nickte, und so zog sie aus der Rocktasche ein gutes Dutzend Münzen, das sie Vitus in die Hand drückte. «Als Notgroschen. Hab ich in den letzten Monaten zur Seite gelegt.»
    Heftig schüttelte Vitus den Kopf. «Niemals. Ihr braucht das Geld selbst in diesen Zeiten.»
    «Nimm jetzt. Vater und ich haben es so besprochen. Du wirst anfangs keine Arbeit finden, als Fremder.»
    «Gut. Aber ihr bekommt es zurück. In drei Jahren und drei Tagen.»
    «Vielleicht ja auch schon bälder», ergriff zum ersten Mal der Vater das Wort. «Wir werden alles dafür tun. Und sorge dich nicht wegen der Ehre – hier bei uns wird es keiner als Schande sehen, dass du dich für unsere Rechte eingesetzt hast.»
    Vitus nickte. «Danke, Vater. Und die Zeit in der Fremde werde ich herumbringen.»
    Unbeholfen strich der Vater ihm übers Haar. «Jetzt geh. Gott behüte dich.» Abrupt wandte er sich um und schritt davon.
    «Los jetzt!» Einer der Söldner stieß ihn in die Seite, und Vitus stolperte zu dem abgerissenen Haufen, der sich eben in Marsch setzte. Er stierte zu Boden, niemand sollte seine Tränen sehen, die ihm jetzt ungehemmt übers Gesicht liefen.
    Sie folgten dem Flusslauf nach

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