Das Mädchen und die Herzogin
nur noch mit einem Krückstock hinaus.
Marie konnte ihre Aufregung kaum verbergen, als sie ihr den Arm als Stütze reichte.
«Habt Ihr Vitus gesehen?»
«Immer langsam mit den jungen Gäulen. Erst bringst du mich nach Hause.»
Dort erfuhr Marie, was die Alte gesehen hatte. Dass ihr Geliebter in einer wehrhaften Stadt lebe, in einer winzigen, dunklen Kammer, und tagaus, tagein schwere Lasten trage. Aber er sei bei guter Gesundheit.
Marie zweifelte keinen Moment an den Worten der Häcklerin. Dennoch spürte sie, nach der ersten Erleichterung, bittere Enttäuschung aufsteigen.
«Warum hat er mir dann nie Nachricht gegeben?»
«Vielleicht hat er es ja versucht. Aber die Welt ist voller Betrüger. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Bote das Sendgeldeinsteckt und die Nachricht ins Gebüsch wirft. Manchmal aber dauert es nur ein wenig länger – vielleicht ist ein Brief an dich längst unterwegs.»
«Konntet Ihr das denn nicht sehen?»
Die Alte lachte. «So begnadet bin ich nun doch nicht. Aber jetzt nimm deinen Stein zurück. Du solltest ihn immer bei dir tragen.»
Die Wochen vergingen, der Herbst kam übers Land, und Marie hatte immer noch nichts von Vitus gehört.
Das Leben war wie immer, hart und voller Mühsal, bestimmt vom ewig quälenden Hunger und der täglichen Arbeit, von den Gängeleien ihrer beiden dummen Vettern und dem Gezänk ihrer Muhme. Die einzigen Lichtblicke in dieser immer dunkler und kälter werdenden Jahreszeit waren die Sonntage, wenn sie hin und wieder Muthlein bei seinem Mittagsspaziergang begegnete. Dann lauschte sie voller Wissbegierde, was er über Gott und die Welt zu erzählen wusste, was im Herzogtum und im Reich vor sich ging, oder hörte, eher mit Schrecken dann, seinen überzwerchen Ansichten zu. Wie etwa, dass das Fegefeuer nur eine Erfindung sei, erdacht, um die Gläubigen durch Angst folgsam zu machen. Und den Ablass zur Erlangung des Seelenheils nannte er ein schändliches und unwirksames Geschäft. Gottes Gnade sei ein Geschenk und nichts, was man sich erkaufen könne. Und immer wieder kam dabei die Rede auf diesen Wittenberger Mönch und Doctor der Theologie, der sich gegen die seit einem Jahrtausend geheiligte Autorität des Papstes auflehnte und von dem, nach Muthleins Worten, die ganze Welt noch hören werde.
Leider waren diese sonntäglichen Lichtblicke viel zu selten.
21
Sabina war erneut guter Hoffnung. Es musste in jener Nacht nach Ulrichs Triumph im Remstal geschehen sein, denn seither hatte ihr Gemahl nicht mehr bei ihr gelegen. Ziel seiner Begierde war längst wieder die schöne Ursula geworden, das pfiffen die Spatzen von allen Stuttgarter Dächern. Und dass die hübsche Ursula nun verheiratet war, änderte daran nichts.
Sabina nahm es hin wie so vieles nach bald vier Jahren Ehe. Leid tat ihr hingegen der junge Stallmeister. Hans von Hutten schlich durch die Gegend wie ein geprügelter Hund und litt unter seiner verratenen Liebe sicher nicht weniger als unter der Schmach, ausgerechnet von seinem Herrn und Freund die Hörner aufgesetzt zu bekommen. Die hohen Herrschaften im Rat verschlossen die Augen vor dieser Ungeheuerlichkeit, für das Volk hingegen waren die Heimlichkeiten im Marschallenhaus, wo das Ehepaar Hutten nach wie vor residierte, willkommener Anlass zu den ausschweifendsten Gerüchten: Es hieß sogar, man vergnüge sich dort im Rudel, gerade so wie die räudigen Köter in den Gassen.
Sabina selbst hielt es nicht anders als der Stallmeister: Sie schwieg sowohl zu den Tatsachen als auch zu allem Geschwätz. Und wenn sie, was jetzt im Winter eher selten vorkam, auf Hutten traf, etwa wenn er die Damenpferdchen zum Spazierritt in den Hofgarten führte, dann plauderten sie miteinander über das Wetter oder die Pferde.
Genauso schweigend und ohne zu klagen hätte sie sich auch in ihr Leben eingerichtet, so gut es eben ging, wäre da nicht etwas Neues in Ulrichs Wesen entstanden, etwas, was ihr mehr und mehr zu schaffen machte: nämlich sein abgrundtiefes Misstrauen. Alles bezog er auf sich, von jedem fühlte er sich hintergangen oder verspottet.
Ein wenig Trost und Abwechslung in diesen Winter brachten nur die Nachmittage im Hause Speth, wenn Sabina mit Margretha und den Kindern in deren Tafelstube saß, bei Honigkuchen und heißem Würzwein. Nun hätte Sabina die Freifrau nicht eben als ihre engste Freundin bezeichnet, dazu war Margretha in ihrer zarten und feinen Art viel zu verschieden von ihr. Doch sie verstand es, Sabinas Inneres zur
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