Das Mädchen und die Herzogin
bisher. Das Kind war so zart, so empfindlich!
Kurz darauf waren die kleinen bunten Stoffpuppen überall auf dem Teppich verteilt.
«Das hier ist der Kaiser, und das hier ist die Kaiserin, und sie lieben sich gar sehr. Und wer ist das kleine Püppchen dort?»
«Anna!» Das Mädchen klatschte in die Hände und lachte.
«Richtig, mein kleiner Schatz. Und das hier ist ihr Brüderchen, das ihr der liebe Gott vor kurzem geschenkt hat.»
Dann durfte Anna eine Figur benennen, dann wieder Sabina, und so weiter im steten Wechsel, bis alle Püppchen zum Leben erweckt waren und sie Annas Lieblingsspiel spielen konnten: Die glückliche Kaiserfamilie, die mit ihrem Gefolge durch die Lande zieht und allerlei Abenteuer zu bestehen hat.
Sabina betrachtete das in sein Spiel vertiefte Kind. Würde sich Ulrich einem Thronfolger, einem Knaben, ebenso verweigern wie seiner Tochter? Dass es ein Bub werden würde, hatte sie bereits mehrfach geträumt, und wenn sie auch sonst kein sehr abergläubischer Mensch war – an der Wahrheit der Traumbilder gab es nichts zu rütteln.
Sie unterdrückte einen Seufzer. Hoffentlich würde ihrer Anna ein freundlicheres Schicksal beschieden sein als ihr. Andererseits – gab es nicht noch traurigere Lebensbahnen? Unwillkürlich dachte sie an all die Bauersfrauen in Schorndorf und den anderen Ämtern, die jetzt allein dastanden mit ihrer Kinderschar, deren Männer tot oder geflohen waren. Nun gut, diese Menschen gehörten einem Stand an, dem nach Gottes Willen Mühsal und Plage bestimmt war. Aber war die Not dieser Frauen jetzt nicht grenzenlos?
Wieder erklangen die Hochzeitsglocken. Sabina freute sich von ganzem Herzen für Maria. Ulrichs neunzehnjährige Halbschwester vermählte sich zum Neujahrstag mit dem schneidigen Heinrich Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel – eine Verbindung, bei der neben der Vernunft auch die Liebe Pate stand. Einer so zarten und empfindsamen Jungfer wie Maria, die dazu noch so fromm war, konnte man nichts Schöneres wünschen.
Das Innere der Uracher Stiftskirche war festlich drapiert mit roten und goldenen Tüchern, die Steinfliesen hatte man mit flämischen Teppichen belegt. Als der Konstanzer Bischof daran ging, das Hochamt zu zelebrieren, vermochte das Kirchenschiff all die Menschen kaum zu fassen. Während Sabina niederkniete, um ihr Gebet zu verrichteten, setzte die schönste Kirchenmusik ein, und sie wusste: Hierfür hatte allein ihr musikliebender Gemahl gesorgt. Ansonsten würden die Gäste an den folgenden Festtagen wohl nicht allzu sehr verwöhnt werden. Ulrich, der als Vormund seiner Halbschwester zum Ausrichten der Feierlichkeiten verpflichtet war, hatte zwar dafür gesorgt, dass die Weinkeller und Vorratsräume bis obenhin gefüllt waren, aber er hatte weder seine Pasteten- noch Zuckerbäcker aus Stuttgart holen lassen, noch hatte er beim Hofküchenmeister irgendwelche ausgeklügelten Speisenfolgen in Auftrag gegeben. Es würden keine Ritterspiele und Rossläufe, keine Hunde- und Hahnenkämpfe stattfinden, noch würden hübsche Tänzerinnen oder Akrobaten oder Tanzbären die Gäste zerstreuen. Dafür sollte für die Bürger und Bauern im Schlosshof aus einem Brunnen der Wein in Strömen fließen.
Der Grund für diese mangelnde Gastlichkeit war nicht etwa ein plötzlicher Gesinnungswandel hin zur Sparsamkeit, vielmehr konnte Ulrich seinen künftigen Schwager schlicht und einfach nicht ausstehen. «Ein Fress- und Saufgelage wie bei einer Bauernhochzeit, das kann er haben, dieser Braunschweiger Affe», hatte Ulrich bei der Herreise laut getönt. «Nicht mehr und nicht weniger.»
Dennoch war Sabina glücklich über diese Unterbrechung ihres höfischen Einerleis, über diesen mehrtägigen Ausbruch aus ihrem engen Stuttgarter Burgschloss. Zum dritten Mal nun war sie in dem alten Residenzstädtchen des einst geteilten Wirtemberg zu Gast, und ihr kam der Gedanke,wie schön es wäre, in Urach Hof zu halten. Dabei war hier alles noch kleiner als in Stuttgart, das Jagdschloss hatte fast etwas von einem Puppenhaus, so klein war es und so traulich. Und Urach selbst lag wie ein behagliches Nest eingebettet zwischen Wäldern und Bergen, ein Nest, in dem es durchaus lebhaft und geschäftig zugehen konnte.
Vielleicht gab es ja eine Möglichkeit, das Uracher Amt gegen ihr Waiblinger Wittum einzutauschen. Vor allem der Tiergarten gleich hinter dem Alten Wasserschloss der Uracher Grafen und die herrlichen Reit- und Kutschwege rundum hatten es Sabina angetan. Gleich
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