Das Mädchen und die Herzogin
nachher, beim Festbankett, würde sie Dietrich Speth danach fragen. Als Mitglied im Herzoglichen Oberrat musste er es eigentlich wissen. Ja, sie würde mit Dietrich sprechen, und die Vorfreude ließ ihr Herz schneller schlagen.
Während der Trauungszeremonie, ja während der gesamten Heiligen Messe, hatte Ulrich stocksteif in seinem kunstvoll geschnitzten Gestühl gesessen, stocksteif und mit erstarrter Miene. Was gewiss daran lag, dass zu seiner Linken die alte Gräfin und Brautmutter, Eva von Salm, ihren Platz hatte, Ulrichs Stiefmutter, der Sabina heute zum ersten Male begegnete. Die Gräfin war jünger als Sabinas eigene Mutter, doch mit ihrer hageren Gestalt und ihrem faltigen Gesicht unter dem schlohweißen Haarkranz sah sie aus wie eine uralte Greisin. Kein Wunder bei dem Leben, das sie in ihrer selbst gewählten Verbannung dort oben auf Hohenurach führte. Ganz und gar freiwillig lebte sie in dem mächtigen kalten Gemäuer, das sich auf dem bewaldeten Bergsporn steil über der Stadt erhob. Lebte selbst wie eine Gefangene an der Seite ihres gefangenen Mannes, dem tollen Heinrich, nicht umsonst hatte man ihr den Beinamen ‹die Geduldige› verliehen. Zudem galt sie als sehr fromm und gütig, genau wie ihre Tochter Maria.
Sabina fragte sich einmal mehr, wie Ulrich es fertigbrachte, den eigenen Vater hinter Schloss und Riegel zu halten – seit Ulrichs Regiment zwar in halbwegs fürstlichen Gemächern, aber ohne Ausgang und von gerüsteten Wärtern streng bewacht. Bald fünfundzwanzig Jahre nun schon hauste Graf Heinrich dort oben, weggesperrt von Ulrichs Vorgänger auf dem Herzogsthron, Eberhard im Barte, wegen Blödigkeit des Geistes. Mochte der tolle Heinrich auch mondsüchtig und nicht recht bei Sinnen sein, unberechenbar sogar; inzwischen war er doch ein alter, gebrochener Mann und dem Tode nah. Warum gab Ulrich ihm, dessen eigen Fleisch und Blut er war, nicht die Freiheit zurück? Warum gönnte er ihm keinen Lebensabend in Anstand und Würde, hier zum Beispiel, in diesem Jagdschlösschen zu Urach? Was machte den Herzog so grausam? Hatte er Angst vor seinem Vater? Oder war es die Angst, in dem tobsüchtigen Alten seine eigene Zukunft gespiegelt zu sehen?
Mit Ulrich über diese Dinge zu reden hatte keinen Sinn. Seit dem Ende des Armen Conrads hatten sie ja eigentlich überhaupt nicht mehr miteinander geredet, von den höflichen, kühlen Wortwechseln im Beisein anderer abgesehen. Und so hatte sie es auch erst von Maria, der Braut erfahren, dass Graf Heinrich heute sogar geladen war zum feierlichen Beilager seiner Tochter. Erschienen war er allerdings nicht. Ein Dutzend geharnischter Reiter aus Ulrichs Leibwache hätte ihn holen sollen – da hatte der Alte dankend abgelehnt.
Als sie nach der Benediktion unter Glockengeläut hinaustraten auf den verschneiten Kirchplatz, stand bereits die gräfliche Sänfte bereit, um die Brautmutter zurück auf die Höhenfestung zu bringen. Sabina beobachtete, wie die Gräfin an Georgs Seite aufrecht und erhobenen Hauptes zum Brautpaarschritt, ihre Tochter innigst umarmte und schließlich energisch und ohne Hilfe den Tritt zu ihrer Sänfte erklomm. Unwillkürlich hob Sabina den Kopf und sah hinauf zu den hellen Festungsmauern, die sich kaum abhoben zwischen den schneebedeckten Baumwipfeln und den Wolkenfetzen. War Eva von Salms Entscheidung, dort zu leben, nicht ein Beispiel für eine Liebe, wie sie sich großartiger und bedingungsloser nicht äußern konnte?
Auch ihr Schwager Georg verabschiedete sich nun, um sich auf den Weg in seine elsässischen Flecken zu machen. Nur zu gut konnte Sabina verstehen, dass keiner der gräflichen Sippe Vergnügen daran fand, mit den hohen Gästen aus Adel und Klerus zu feiern und zu zechen und sich womöglich deren Klatsch und Gespött auszusetzen. Schade eigentlich, denn Georg war ein ausnehmend liebenswerter Mensch, und die Gräfin von Salms hätte Sabina gern näher kennengelernt.
An Ulrichs Seite geleitete sie wenig später das Brautpaar und seine edlen Gäste in den Empfangssaal, den prächtigsten Raum des Schlosses, welchen der Herzog eigens für diesen Anlass – und gegen eine Unsumme von Gulden! – aufwendig hatte renovieren lassen. Schließlich ließ sich hier vor Fremden wunderbar renommieren, präsentierte sich hier doch die Ahnenprobe der alten Wirtemberger Grafen: In prächtigen Wandgemälden führten deckenhohe Palmbäume die Schilde mit den Wappen der Ahnen und bezeugten die hohe Abstammung des alten Hauses Wirtemberg,
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