Das Mädchen und die Herzogin
Ruhe zu bringen und ihr eine fast heitere Gelassenheit zu schenken. Manchmal beneidete Sabina die Edelfrau um ihr Wesen, vor allem aber um ihr Leben an Dietrichs Seite. Sie beneidete sie so sehr, dass es schmerzte.
Der Ritter selbst schaute meist nur auf wenige Augenblicke herein, und dann hatte Sabina Mühe, dem Flattern ihres Herzens Einhalt zu gebieten. Jedes Mal schalt sie sich eine Närrin, und jedes Mal von neuem erwartete sie Dietrichs Begrüßung in inniger Vorfreude.
Ihren väterlichen Freund Reuchlin hingegen hatte sie nicht mehr getroffen, seitdem sie einmal seiner Einladung zum Adventssingen nachgekommen war, mit Hofmeister von Westerstetten und ihren schnatternden Hofdamen, ganz, wie es der Anstand geziemte. Ohne den Herzog allerdings, der an jenem Tag mit seinem Halbbruder im linksrheinischen Landesteil Reichenweiher weilte. Es war ein wunderschöner Abend gewesen, stimmungsvoll und behaglich, bis zu jenem Moment, als gegen zehn in der Nacht Herzog Ulrich hereingetobt gekommen war. Ist die Katze außer Hause, dann tanze die Mäuseschar, hatte er gebrüllt. Er könne sich lebhaft vorstellen, wie lustvoll man in seiner Abwesenheit Hinterhalt und Ränke schmiede – seit den Tübinger Artikeln habe er ja nichts anderes zu erwarten von seinen Vertrauten und Ratgebern, dort in Tübingen habe sich ja gezeigt, wie man hierzulande mit einem hohen Fürsten umzuspringen pflege.
Vielleicht war Ulrich an jenem Abend betrunken gewesen, vielleicht auch nicht – am nächsten Morgen jedenfalls hatte er ein Ausschreiben an alle Häuser der Ehrbarkeit und des Kleinadels verteilen lassen, dass bei etwaigen Gesellschaften und Banketten die Herzogin nur im Beisein ihres Gemahls und Herrn zu laden sei. Zu Sabinas Glück waren ihre Nachmittage bei Margretha Speth hiervon ausdrücklich ausgenommen. Womöglich fürchtete Ulrich eine Konfrontation mit dem Ritter. Wenn es denn überhaupt noch einen Menschen gab, von dem der Herzog sich bisweilen etwas sagen ließ, dann war es Dietrich Speth Ritter von Zwiefalten.
Zum Weihnachtsfest sah Sabina den Zeitpunkt gekommen, Ulrich von ihrer Schwangerschaft mitzuteilen. Nach der Heiligen Messe versammelte sich der Hofstaat in der Dürnitz, wo die herzogliche Kapelle feierlich aufspielte. Sabina nahm zu Ulrichs Rechten auf der Galerie Platz, zog die kleine Anna auf den Schoß und erfasste Ulrichs Hand.
«Unsere Anna bekommt ein Geschwisterchen», flüsterte sie. «Und Ihr, wenn Gott will, einen Thronfolger.»
Wie von der Biene gestochen zog der Herzog seine Hand zurück. Ansonsten tat er, als habe er nichts gehört, starrte auf die Musiker unter ihnen, lauschte den Klängen von Leier und Lauten, von Violen, Flöten und Spinett.
Als sie sich schließlich zum Applaus erhoben, zischte er so laut, dass alle Köpfe, so schien es Sabina zumindest, zu ihnen herumfuhren: «Wer hat dich diesmal gepfeffert – der Hans oder der Dietrich?»
Sabina schüttelte den Kopf. Sprachlos zunächst, dann brach es aus ihr heraus: «Warum könnt Ihr Euch nicht mal an Euren Kindern erfreuen? An Euren ureigenen Kindern? Denn im Gegensatz zu Euch habe ich niemals wen anderen angerührt als meinen vor Gott angetrauten Ehewirt! Pfui Teufel!»
Die letzten Worte hatte nun gewiss jeder gehört, aber das war ihr völlig gleichgültig. Sie nahm die weinende Anna auf den Arm und verließ, so schnell es ihre Schleppe erlaubte, die Dürnitz. Lioba und die alte von Westerstetten folgten ihr eiligst.
«Fort mit euch», schnaubte sie, als sie die Treppe erreicht hatte. «Lasst mich mit meiner Tochter allein.»
Grob schob sie den Türknecht ihrer Gemächer beiseite, hieß die Kammerjungfer hinausgehen und hockte sich mit Anna mitten in der Stube auf den türkischen Bodenteppich.
«So, wir beide spielen jetzt mit deinen hübschen Püppchen. Nur wir beide.»
Anna blickte ihre Mutter aus großen Augen, aus wirtembergisch graugrünen Augen, ungläubig an. Viel zu selten spielte ihre Mutter mit ihr. Der Streit hatte der Kleinen, wie jedes Mal, wenn es laut wurde, Angst eingejagt, und nur langsam wichen nun die Flecken aus dem zarten Gesicht. Nächsten Monat würde sie zwei, doch sie sprach immer noch wenig, während andere Kleinkinder doch von früh bis spät sprudelten und plapperten.
«Nun komm schon, mein Liebes, hol sie her, deine Püppchen.»
Da schlang Anna ihrer Mutter die Ärmchen um den Hals, und Sabina musste mit aller Kraft die Tränen unterdrücken. Sie würde sich mehr um Anna kümmern, noch mehr als
Weitere Kostenlose Bücher