Das Mädchen und die Herzogin
himmlische Macht, in der Ehe jedoch regiert die Vernunft.
Aber die kaiserliche Ermahnung machte alles nur noch schlimmer. In den folgenden Wochen gab es Tage, da hörte man Ulrich von morgens bis abends brüllen: im Schlosshof, in den Fluren und Hallen, drüben im Marstall. Nie kam sein stechender Blick zur Ruhe, nie entspannten sich seine Muskeln. Es war, als ob er unablässig im Kampf gegen eine bedrohliche Macht stünde. Seine Wutausbrüche kamen immer unerwarteter, bereits eine Fliege an der Wand konnte dazu führen, dass er die Nerven verlor. Längst machten die übelsten Gerüchte ungehemmt die Runde. Einmal hieß es, er habe seinen Stallknecht halbtot geprügelt, weil eines seiner Streitrosse lahmte, ein andermal, er habe einem Lautenspieler ums Haar die Hand abschlagen lassen, weil sein Spiel falsch war. In sein ewiges Misstrauen begann sich der Wahn zu mischen: Selbst auf der Straße sah er nun in jeder größeren Menschenansammlung, ob aus Händlern, Marktfrauen oder braven Bürgersleuten, eine Bande von Verschwörern oder zumindest von Spöttern. «Was glotzt ihr so?», konnte er dann brüllen. «Wollt mich wohl lieber heut als morgen im Grab sehen?» Und einmal war er gar, mitten während des Mittagsmahls in der Dürnitz, mit dem Speisemesser auf den Hofarzt losgegangen, der ihm angeblich die falsche Paste gegen seine Warzen verabreicht hatte.
All das hätte Sabina nicht wirklich anfechten müssen, da sie diese Dinge meist nur durchs Hörensagen erfuhr. Dann aber, Ende März, gerade als die ersten lauen Frühlingslüfte den Missmut der Menschen zu vertreiben begannen, überkam den Herzog eine neue Wunderlichkeit: Als wolle er sichergehen, dass wenigstens die eigene Gemahlin ihn nicht hinterging, musste Sabina fortan von früh bis spät um ihn sein. Selbst in der Canzlei oder bei den Audienzen forderte er ihre Gesellschaft, und nachts im Bett nahm er sich, was ihm seiner Ansicht nach zustand, lieblos und kalt. Nicht den kleinsten Schritt konnte sie mehr unbeobachtet tun.
So versuchte sie wenigstens, in Kleinigkeiten Einfluss zu nehmen, beruhigend auf ihn einzuwirken. Zu spät merkte sie, dass sie ihn damit nur noch mehr reizte. Einmal, als er geradeüber einer neuen Landesverordnung brütete, wagte sie anzumerken, was ihr an einigen Artikeln heikel erschien.
«Meint Ihr nicht, Euer Lieb, man solle dem gemeinen Mann wenigstens im häuslichen Bereich ein klein wenig mehr Freiheit zugestehen? Auf diese Weise wäre –»
Weiter kam sie nicht.
«Hab ich dich um deine Meinung gefragt? Hab ich das?» Er gab ihr eine Ohrfeige. «Antworte mir: Hab ich das?»
Mit beiden Händen hielt sie sich das Gesicht; aus ihrer Nase lief das Blut.
«Wage nie wieder, ungefragt deine Meinung kundzutun. Nie wieder! Sonst prügle ich dir das Kind aus dem Leibe!»
Von Stund an zwang sie sich, aus Rücksicht auf ihr ungeborenes Kind alles, aber auch wirklich alles, schweigend zu erdulden. Kurz darauf starb, völlig überraschend, ihre liebe alte Kinderfrau Lioba. Friedlich war sie des Nachts entschlafen, ohne Schmerzen und ohne dass es die Kammermagd im Bett neben ihr überhaupt bemerkt hätte. Für Sabina war das der schmerzvollste Verlust, den sie seit dem Tod ihres Vaters je erfahren hatte. Wer würde ihr nun am Kaminfeuer zuhören, wer die Abendandacht mit ihr sprechen, wer die weinende Anna tröstend auf den Schoß nehmen? Mit Lioba war das letzten Stück Kindheit von ihr gegangen. An das Schicksal hatte sie nunmehr nur noch einen einzigen Wunsch: in Frieden ihre Schwangerschaft zu Ende und ein gesundes Kind auf die Welt bringen.
Mit undurchdringlicher Miene verlas Casimir Muthlein die gewichtigen Worte, die auf der Pergamentrolle geschrieben standen. Anfangs hatten die Kirchgänger noch laut aufgelacht, als es hieß, Trommelschlag und Saitenspiel, Völlereiund Maskerade seien am Aschermittwoch und am Weißen Sonntag künftig verboten. Verboten sei item, bei Strafe von vier Gulden, kostbare Kleider aus London, der Lombardei oder den Niederlanden zu kaufen oder zu tragen – zumindest dem Bürger und Bauern. Der gemeine Mann sei vielmehr angehalten, ziemliche Kleidung aus grauem Tuch zu tragen.
«Hast gehört, Schäfer?», rief einer. «Gib nur acht, dass dich deine Schafe nicht anschwärzen, wenn du wieder mal in Seide und Atlas wandelst.»
So ging es weiter und weiter mit dem Wortlaut der neuen Landesverordnung vom April des Jahres 1515, die jeder Pfarrer im Herzogtum seiner Gemeinde zu verlesen hatte, auf
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