Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
Vom Netzwerk:
dass sie allen Untertanen geläufig werde und als strenge Richtschnur des täglichen Lebens diene. Hohe Strafen drohten künftig beim Gotteslästern und Zutrinken, beim Tragen von Butzen- und Schellenkleidern an Fastnacht, aber auch bei übermäßigen Aufwendungen oder teuren Geschenken zu Hochzeiten und Taufsuppen, zu Kindbettmählern und Leichenfeiern.
    Für die Menschen hier, die tagtäglich gegen Hunger und Not anzukämpfen hatten, war dies alles mehr oder weniger lachhaft. Als man indessen auch hören musste, dass an Kirchweih nunmehr verboten sei, in Gesellschaft von Ort zu Ort zu ziehen, und dass in allen Ämtern dem Bürger und gemeinen Mann die Waffen zu konfiszieren seien, da regte sich der erste Unmut.
    «Item», las Muthlein weiter, «sind entflohene Übeltäter auf Lebzeiten außer Landes zu verweisen, ausnahmslos und ohne Recht auf Gnade. Item muss jedermann, der das Bürgerrecht erlangen will, neben dem Bürgereid auf den Tübinger Vertrag schwören. Item ist nur der Obrigkeit erlaubt, die Sturmglocke zu läuten und Trommeln zu besitzen   –»
    «Das werden wir ja sehen!», rief einer der Burschen aus der hintersten Reihe.
    «Item muss jeder, der unbotmäßige Reden führt, angezeigt werden. Hierzu in die Pflicht genommen ist nicht nur die Obrigkeit, sondern jedweder Untertan. Item   –»
    «Hört auf damit, Muthlein. Wir wollen das nicht hören!»
    Der Lange Gilgen war neben den Pfarrer auf die Kanzel gesprungen und hatte ihm die Rolle aus der Hand gerissen. Die meisten der Kirchgänger klatschten Beifall.
    «Sofort gibst du das dem Pfarrer zurück. Sonst schlepp ich dich eigenhändig nach Böblingen zum Vogt!», brüllte der Dorfschultes von seiner Empore herunter.
    «Buh! Speichellecker! Schleimer! Kriech doch der Obrigkeit in den Arsch, du Judasbruder!»
    Marie nutzte den ausbrechenden Tumult, um vor ihrer Muhme und den Vettern die Kirche zu verlassen. Vielleicht würde sie, hinten beim Ausgang der Sakristei, unbemerkt auf den Pfarrer treffen können, um Neues zu erfahren. Casimir Muthlein stand inzwischen nämlich in Verbindung mit dem Schorndorfer Stadtpfarrer und bezog von diesem hin und wieder die neuesten Zeitungen über die Gefangenen und Verurteilten des Schorndorfer Blutgerichts. So wusste Marie nun, dass die Verbannten damals ins nahe Gmünd gebracht worden waren, eine freie Reichsstadt an der Ostgrenze des Herzogtums.
    Fröstelnd wartete sie im Schatten des Holunderbaums und starrte auf die schmale Holztür, bis diese sich endlich knarrend öffnete.
    «Marie!»
    Muthlein lächelte erfreut, wie immer, wenn er auf das Mädchen traf, und Marie erinnerte sich dann jedes Mal der Worte von der alten Häcklerin:
Der ist Feuer und Flamme für dich!
    «Gott zum Gruße, Herr Pfarrer.» Sie wagte kaum, ihm in die Augen zu sehen. «Wisst Ihr was Neues aus Schorndorf?»
    Muthlein nickte. «Leider nichts sehr Erfreuliches. Nein, musst dich nicht erschrecken.» Er fasste nach ihrer Hand. «Es ist nur, dass man die Verbannten aus Gmünd nun ebenfalls ausgewiesen hat. Es scheint, dass die freien Reichsstädte den Zorn unseres rappelköpfigen Herzogs nicht unnötig herausfordern wollen, indem sie seine Widersacher aufnehmen. Insofern hat sich nun die Spur der Verbannten verloren.»
    «Aber – wohin können sie denn noch, wenn keiner sie will?»
    «Na ja, einige sind wohl nach Ulm gegangen – das Gebiet der Reichsstadt ist so groß, dass es sich recht leicht untertauchen lässt. Und dann sind da noch die Eidgenossen, mit denen sich Ulrich zu häufig überworfen hat – bei denen hat noch jeder Aufnahme gefunden.»
    «Ihr meint die Schweiz? Aber das ist ja unendlich weit weg von hier!»
    Maries Augen füllten sich mit Tränen, und Muthlein nahm nun auch ihre andere Hand in die seine.
    «Vertrau nur auf den Herrgott, liebe Marie, denn er ist mit den Schwachen und Verfolgten.»
     
    Anfang Mai kam das Fass zum Überlaufen, das Unvorstellbare geschah: Ulrich Herzog zu Wirtemberg hatte seinem Stallmeister Hans von Hutten die Liebe zu dessen Ehegefährtin gestanden und obendrein um Duldung dieser Liebe gefleht! Sogar die reiche Obervogtei zu Urach hatte der Herzog ihm für diesen Freundschaftsdienst angeboten – doch Hans von Hutten hatte das Angebot brüsk zurückgewiesen, mehr noch: er hatte, ob aus Ärger oder aus Kränkung, das ihm im ZwiegesprächAnvertraute am ganzen Hofe verbreitet wie ein altes Waschweib.
    Sabina hätte nicht sagen können, was sie mehr entsetzte: Die Tatsache an sich oder dass nun

Weitere Kostenlose Bücher