Das Mädchen und die Herzogin
Sterbenswörtchen erwähnt, was ihr geschehen war, nicht einmal gegenüber dem Pfarrer, hatte das Erlebte wie eine schwere Last ganz allein in sich getragen. Als indessen nichts geschah, Monat für Monat vergangen war, ohne dass auch nur ein Zipfel des herzoglichen Mantels in der Nähe des Dorfes gesehen worden wäre, beruhigte sie sich allmählich. Sicher hatte Ulrich sie längst vergessen, und die Albträume, die sie in den ersten Wochen jede Nacht heimgesucht hatten, verschwanden.
Aber da war noch etwas anderes, etwas, das sie inzwischen ungleich mehr belastete: Martini nahte, und von Vitus hatte sie nie mehr gehört. Sie wusste, dass Marx Schladerer sich nicht länger hinhalten lassen würde. Schon jetzt gebärdete er sich vor den anderen wie ihr künftiger Bräutigam.
Die Sonne war eben aufgegangen und die Luft stach allen noch eisig in die Lungen, als der Lange Gilgen zum Abmarsch blies. Die Jungen gingen vorweg, in gehörigem Abstand zu den Alten, um sich ungestört necken, an den Händen halten oder auch heimlich küssen zu können. Viel lieber als zu Marx und dessen Kumpanen hätte Marie sich zum Pfarrer gesellt, der mit den Dorfältesten die Nachhut bildete, aber damit hätte sie sich erst recht gehörig zum Gespött gemacht. Soversuchte sie, ein halbwegs freundliches Gesicht aufzusetzen, immerhin war dieser arbeitsfreie Tag auf der Kirbe eine wunderbare Abwechslung, und sie ließ es sogar zu, dass Marx auf halbem Wege ihre Hand nahm.
«Na, mein Herz, freust du dich schon auf den ersten Tanz mit mir?»
«Glaub ja nicht, dass ich nur mit dir tanzen werde», gab sie zurück.
«Mit wem denn sonst?» Marx lachte. «Etwa mit unserem Pfaffen?»
Marie wurde rot. «Glaubst du, die Komödianten kommen dieses Jahr wieder?», lenkte sie ab.
Er zuckte die Schultern. «Wegen mir nicht. Ich bin das letzte Mal fast eingeschlafen vor Langeweile.»
Zum Glück kam Nele angelaufen und griff nach der anderen Hand ihrer großen Schwester. So würde es Marx wenigstens nicht wagen, sie zu küssen, wie er es in letzter Zeit häufiger versucht hatte.
Als Marie mit ihrer Gruppe den Kirchplatz von Holzgerlingen erreicht hatte, drängte sich schon viel Volk vor den Buden und Schragentischen, die rund um den Tanzboden aufgestellt waren. Am Nachmittag würde hier der Tanz eröffnet werden, bis dahin zeigten, von Trommlern und Pfeifern begleitet, Jongleure und Artisten ihre Künste. Gebannt blieb Marie am Rande des Holzbodens stehen und sah zu, wie zwei Buben, gerade mal so alt wie Nele, sich brennende Fackeln zuwarfen.
«Komm weiter zum Ausschank.» Marx zog sie am Arm. «Wir haben Durst.»
Der Weinschenk hatte seine Bänke unmittelbar vor der Mauritiuskirche aufgestellt, und so kam die Rede unweigerlich wieder auf jene unerhörte Tat des Herzogs.
«Hättest mal sehen sollen», sagte Marx zu Marie und wies gegen das Kirchenportal, «wie er dort lag. Völlig zerstochen war dieser Stallmeister, voller Blut –»
«Sei still!», flüsterte Marie. «Lass uns austrinken und woanders hingehen.»
Marx grinste. «Du bist mir ja ein zartes Seelchen.»
«Ich find’s nicht recht», fuhr einer von seinen Freunden fort, «dass so gegen unsern Herzog gehetzt wird. Schließlich hat er als Landesfürst das Recht, einen Verräter hinzurichten.»
«Obendrein hat der Stallmeister ihn ja angegriffen», meinte ein anderer. «Schon allein aus Notwehr musste er ihn töten.»
«Ihr habt ja alle keine Ahnung.» Der Lange Gilgen schenkte ihnen die Becher erneut randvoll. «Aus Eifersucht hat er’s getan, aus tollwütiger Eifersucht. Das weiß doch jeder, dass der Herzog scharf wie ein Rammler auf das Weib des Stallmeisters war.»
«Genau! Das hab ich auch gehört. Hinterrücks hat er den armen Kerl erstochen und anschließend einen Freudentanz aufgeführt und einen ganzen Beutel Wein geleert.»
«Woher willst du denn das schon wieder wissen?»
«Von einem Forstknecht. Der war nämlich Zeuge.»
«Haha! Hätte es einen Zeugen gegeben, hätte der Herzog den längst um einen Kopf kürzer gemacht!»
«Eben. Und da es keine Zeugen gibt, wird unser Herzog alles so hindrehen können, wie es ihm zupasskommt.»
Marie presste sich die Fäuste gegen die Ohren, doch die Stimme in ihrem Kopf verstummte nicht.
Ich werde dich finden!
Vor ihren Augen begann es zu schwanken.
«Mir ist nicht wohl», murmelte sie
«Du Ärmste!» Marx legte den Arm um sie. «Hast wohl beideiner alten Vettel schon lange keinen Wein mehr zu kosten gekriegt.»
Sie sprang
Weitere Kostenlose Bücher