Das Mädchen und die Herzogin
schöner als sie. Und eins weiß ich.» Er umklammerte ihre Handgelenke. «Freiwillig würdest du nie bei mir bleiben!»
«Dann lasst mich wenigstens ab und zu aus der Kammer. Ich werde noch verrückt herinnen.»
«Mal sehen. Und jetzt lass mich schlafen.»
In dieser Nacht weckte er sie gegen Morgengrauen.
«Wenn ich dich jetzt freiließe – würdest du mich dann wiedersehen wollen?»
Marie, die eben erst in den Schlaf gefunden hatte, rieb sich verwirrt die Augen.
«Hast du meine Frage nicht gehört?! Antworte! Würdest du mich wiedersehen wollen?»
«Nein, Euer Gnaden.»
Da begann er leise zu schluchzen. «Das dacht ich mir. Du bist auch nicht anders. Alle haben sie mich verlassen», flüsterte er mit erstickter Stimme. «Meine Gemahlin, meine Geliebte, meine Freunde – selbst meine Eltern.»
Er hob den Kopf. «Meine Mutter hat mich in die Welt geworfen und sich davongemacht. Und meinen Vater haben sie in den Wahnsinn getrieben und eingesperrt, damit ich keinen Vater mehr habe. Was immer du über den Grafen Heinrich gehört haben magst: Er war nicht von Anfang an blöden Geistes – nein, das haben die andern getan. Und mich haben sie umgetauft, von Heinrich in Ulrich und mir damit meinen Vater ein zweites Mal genommen.»
Seine Hände zitterten, und nur um überhaupt etwas zu sagen, fragte Marie: «Warum lasst Ihr Euren armen Herrn Vater dann nicht frei?»
«Weil ich ihn schützen muss, verstehst du? Er ist ein armer, irrer, alter Mann, den man vor sich selbst schützen muss.»
Fast glaubte sie, er habe sich gefasst, da begann er erneut zu weinen: «Niemals habe ich einen Vater gehabt, niemals eine Mutter, dafür kalte und herzlose Erzieher. An den Chorherrn Hafner erinnere ich mich genau, so streng hat er über mich gewacht, mich von früh bis spät mit seinem grimmigen Blick verfolgt. Dabei wollt ich ihm als Knabe alles recht machen, wollt so sein wie seine andern Schüler – aber stets hat er mich kleingemacht vor den andern Buben bei Hofe, hat mich gescholten, ich sei ganz von Wirtemberger Art und ein Nichtsnutz wie meine Vorfahren und viel zu fett und weibisch obendrein!» Ulrichs Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. «Da hab ich dann seiner Lieblingskatze den Hals umgedreht.» Er presste sich an Maries Brust. «Meine Kindheit war die Hölle, eine einzige Hölle. Aber dann kam Kaiser Maximilian, und von der ersten Begegnung an hatteer mich geachtet wie seinen eigenen Sohn, der ihm doch so früh weggestorben war.»
Er schluchzte so laut auf, dass Marie zusammenschrak. «Aber selbst der Kaiser hat mich hintergangen – er hat den gütigen Vater und Ratgeber nur gespielt, die Liebe nur geheuchelt, um mir diese furchtbare Ehe aufzuzwingen! Er wollte nicht mir Gutes tun damit, sondern nur sich selbst, seinem unstillbaren Machthunger. Wollte mich beeinflussen, wollte das Sagen haben im meinem Land, um es für seine Pläne als Bollwerk zu nutzen gegen die Kurpfalz, gegen Frankreich und die Schweiz. Nur deshalb hat er mir immer wieder scheinbar väterlich den Arm gereicht und mir schließlich seine Nichte als Braut aufgeschwatzt. Aber ich habe ihn durchschaut: Er hat mich nie geliebt! Mein Land wollte er haben.»
Jetzt weinte er hemmungslos in ihren Armen, und während sie eher widerwillig begann, ihm tröstend über den Rücken zu streichen, verspürte sie plötzlich so etwas wie Mitleid für diesen Mann, der die ganze Welt gegen sich sah.
Als die Tage länger wurden und die erste Frühlingssonne die Luft erwärmte, wurde ihr ein schrecklicher Verdacht zur Gewissheit: Sie erwartete ein Kind! Ein Hurenkind! Nie wieder würde sie Vitus unter die Augen treten können. Ungeheure Verzweiflung erfasste sie. Das Beste wäre, sie würde sich einen Strick nehmen und unter dem Dachbalken aufhängen!
Es schien Sabina, als bestünde dieses ganze Frühjahr aus Warten: Warten auf Nachrichten aus Wirtemberg, auf Neuigkeiten über ihre Kinder, warten auf Dietrich. Nachdem sie miteinander vier wunderschöne Wochen verbracht hatten, angefüllt mit Gesprächen, Ausflügen und heimlichen Zärtlichkeiten, hatte pünktlich mit der Schneeschmelze seineeigentliche Tätigkeit begonnen: unterwegs zu sein in den Angelegenheiten des Herzogtums Baiern-München. Mal weilte er in heimlicher Mission in Wirtemberg, mal reiste er zu einer Audienz zum Kaiser, mal begleitete er Wilhelm zu Landtagen oder dem Bundestag des Schwäbischen Bundes, in dem sich immer mehr Ritter und Landesherren zu formieren begannen. Jedes Mal,
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