Das Mädchen und die Herzogin
Süßspeisen abgetragen waren, erhob Wilhelm seinen Kelch.
«Jetzt hat unserem Schelm das letzte Stündlein geschlagen. In Kürze ist er vogelfrei, und wir können losschlagen.»
Die anderen johlten und prosteten ihm zu.
«Der Kaiser», fuhr Wilhelm fort, «hat Ulrich mit der Reichsacht gedroht, falls er sich nicht in persona vor dem kaiserlichen Schiedsgericht in Augsburg einfinden sollte.»
«Und wie wir den Wirtemberger kennen, wird er das nicht tun», rief der alte Hutten. «Dann hält uns nichts mehr. Endlich», er wischte sich eine Träne aus dem Auge, «endlich werde ich meinen armen Sohn rächen können. Und Wirtemberg kommt von dem Tyrannen frei.»
«Was aber», warf ein anderer ein, «wenn unser Kaiser wieder einmal weich wird und seine Drohung zurückzieht?»
«Dann habe ich immer noch einen wirkungsvollen Schachzug parat.» Wilhelm lächelte seine Schwester an. «Ich werde dem Kaiser dann für seinen Italienfeldzug meine Truppen verweigern.»
Die Männer am Tisch brachen in Beifall aus. Sabina aber blieb stumm. Sie kannte ihren Bruder gut genug, um zu wissen, dass sein Lächeln eben alles andere als liebevoll gemeint war. Den ganzen Abend schon hatte er ihr beinahe feindselige Blicke zugeworfen. Was hatte das zu bedeuten? Jetzt, wo sie ihrem Ziel so nahe waren?
Nach dem Essen nahm Wilhelm sie zur Seite.
«Ich habe ein Schreiben Dietrichs an dich abgefangen», sagte er. Entsetzt starrte Sabina ihn an. Als sie lautstark zu protestieren begann, schnitt er ihr barsch das Wort ab.
«Als dein Bruder und Herzog habe ich die Pflicht, Schlimmeres zu verhüten. Seit langem schon hatte ich den Verdacht, dass zwischen dir und ihm mehr ist als ein ehrbares Treuebündnis. Mein Gott, Sabina, ich hätte dich für klüger gehalten!» Seine Lippen zogen sich böse zusammen. «Ich warne dich: Wenn du nicht willst, dass die Thronfolge deines Sohnes gefährdet ist, beendest du diese infame Bettgeschichte jetzt und sofort.»
Zwei Wochen später überbrachte ihr während der Morgensuppe eine der Mägde ein zusammengefaltetes Papier. Als sie wieder allein war, las sie die hastig hingeschriebenen Zeilen:
Mein allerliebster Schatz! Ich muss dich wiedersehen! Außerdem gibt es Neuigkeiten. Kannst du sobald als möglich an das Jägerhaus beim Schwabinger Tor kommen? Ich warte dort auf dich am kleinen Brunnen. Da ich auf der Durchreise bin, habe ich wenig Zeit. Es ist auch besser, du sagst deinem Bruder nichts. In Liebe, dein Dietrich.
Sie ließ ihr Essen stehen und kleidete sich hastig an. Wie sehnsüchtig hatte sie auf ein Wiedersehen mit ihm gewartet und zugleich mit welchem Bangen! Wusste er, dass ihre Liebschaft entdeckt worden war? Tat er deswegen so heimlich? Waren das etwa die Neuigkeiten?
Sie verließ den Alten Hof durch eine Nebenpforte und eilte auf Umwegen durch die Gassen der Stadt, um nicht in die Nähe der Neuveste zu gelangen und womöglich gesehen zu werden. Schon von weitem erkannte sie Dietrichs schlanke,hochgewachsene Gestalt. Zum Glück waren sie allein, keine Knechte, keine Hundeführer waren zu sehen.
Liebevoll zog er sie an sich, aber in seinem Gesicht las sie tiefe Sorgen.
«Ich bin so froh, dass du gekommen bist.» Er küsste sie. «Setzen wir uns auf die Bank dort. Viel Zeit bleibt nicht. Meine Männer warten in Schwabing, wir müssen weiter an die Donau, wo sich die bairischen Truppen sammeln. Ich dachte schon», er lachte leise, «ich komme drumherum um dieses Kriegsgetöse. Aber im letzten Moment hat dein Bruder auch mich einberufen. Du hast ihm doch nicht gesagt, dass ich hier bin?»
«Nein, aber –»
«Das ist gut so. Er hätte mich sonst nur in die Canzlei bestellt. Ich werde ihm früh genug im Heerlager begegnen. Warum bist du denn so bleich?»
Wilhelm hatte ihm gegenüber also kein Wort verloren. Dieser feige Hund!
«Mein Bruder hat deinen letzten Brief abgefangen. Er weiß alles.»
«Herr im Himmel!» Er sah sie erschrocken an. «Was wirst du tun?»
«Ich weiß es nicht», erwiderte sie verzweifelt. Dass Wilhelm ihr gedroht hatte, behielt sie für sich.
«Hör zu, Sabina, mein Herz: Wenn dieser Feldzug vorbei ist, falls er überhaupt stattfindet, komme ich nach München. Bis dahin geh deinem Bruder am besten aus dem Weg. Ich werde eine Lösung finden, glaub mir.» Er schaute sie beschwörend an. «Wir
müssen
eine Lösung finden.»
Sie nickte, ohne viel Hoffnung zu empfinden. Schließlich fragte sie mit erstickter Stimme: «Und was gibt es Neues?»
«Ich
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