Das Mädchen und die Herzogin
ins Stroh, «diese Mordbrenner». Es war der erste Tag des Ostermonats, und die feindlichen bündischen Truppen standen bereits bei Esslingen, nur wenige Wegstunden entfernt. «Eben hab ich gehört, dass sie in Kirchheim den Magistrat haben Spießruten laufen lassen. Tote und Verletzte hat es gegeben. Und das nur, weil die Stadt dem Herzog die Treue halten wollte.»
«Das nennt sich Kriegsstrategie.» Vitus lachte höhnisch auf. «Sie verbreiten Angst und Schrecken, damit wir Stuttgart kampflos aufgeben. Und haben Erfolg. In unseren Reihen hier werden es Tag für Tag weniger, das sieht doch ein Blinder, und ich verwette meinen letzten Kreuzer, dass die Stuttgarter Ehrbarkeit am Ende dem Feind die Tore freiwillig öffnet. Weder du noch ich werden diese Stadt verteidigen müssen.»
Vitus behielt recht. Am selben Abend noch zog der Herold durch die Lagerreihen und verkündetet unter Trommelschlägen, Herzog Urich werde am nächsten Morgen nach Tübingen reiten, um seinen Thronfolger vor einer möglichen Entführung zu schützen. Mehr als alles gelte es nun, die FesteHohentübingen zu verteidigen, mit Leib und Leben, bis zum letzten Blutstropfen. Wer also Manns genug sei und den Tod nicht fürchte, solle den Herzog begleiten und sich vor dem Zelt des Hauptmanns einfinden.
Für Vitus und seinen Freund gab es kein Zögern. Mochten die Stuttgarter auch kapitulieren – der Thronfolger Wirtembergs durfte keinesfalls außer Landes gebracht werden.
Dämmerung umhüllte die Häuser und Mauern der Stadt, die Nacht versprach sternenklar zu werden. Drüben über dem Ammertal, wo die Bündischen ihr Lager hatten, flammten die ersten Lagerfeuer auf. Wie alle anderen hier ahnte Vitus, dass der Sturm auf das Burgschloss unmittelbar bevorstand. Schulter an Schulter drängten sie sich auf dem Wehrgang, hielten Steine und Munition bereit, spähten angestrengt in die einbrechende Nacht. Längst war die Stadt besetzt, und seit Tagen schon standen sie unter unaufhörlichem Beschuss, während immer noch mehr Heeresteile aus dem Ammer- und Neckartal herbeiströmten. Es war nur eine Frage der Zeit, wann der Feind die erste Bresche in die Festungsmauern schlagen würde.
Vitus wandte den Kopf. Hinter den Fenstern des Fürstenzimmers schimmerte Kerzenschein. Dort saß jetzt Ulrich bei Tisch, im Kreise seiner letzten Getreuen aus dem Ritterstand, und beriet wahrscheinlich bei ausgiebigem Schmausen und Zechen über die Lage. Die Herren waren bestens versorgt, ihre Speisekammern bis zum Bersten gefüllt. Ihnen hingegen, den einfachen Söldnern, die im Burghof und auf den Zinnen und Türmen ihren Dienst taten, knurrte der Magen. Noch keinen Heller Sold hatte Vitus seit Blaubeuren gesehen, und auch die leibliche Versorgung wurde immer kümmerlicher.
Mehr noch bedauerte er allerdings, dass Enderlin nicht an seiner Seite war. Während er selbst im Angriffsfall Vorburg und unteres Tor zu sichern hatte, war sein Freund an der ungesicherten Westflanke der Burg postiert. Wenn die Bündischen dort die vorgelagerten Schanzen einnehmen würden, wären Enderlin und seine Kameraden die Ersten, die überrannt würden.
Sie saßen hier alle in der Falle wie die Fliege im Spinnennetz, würden sich um Gnade flehend ergeben müssen, denn das ganze Land samt Residenzstadt war längst in den Händen des Schwäbischen Bundes und hatte dem Baiernherzog Wilhelm untertänigst gehuldigt.
Was also hatte er hier noch zu schaffen? Missmutig lehnte er sich gegen einen Mauervorsprung. Tagtäglich hatte er sich eingeredet, dass der Kriegsdienst das Richtige für ihn sei, indessen mit immer weniger Erfolg. Er sehnte sich nach seiner Arbeit in den Reben, nach einem gemütlichen Abendessen am Tisch der Familie.
Irgendwann schrak er auf. Er musste im Stehen eingeschlafen sein, für lange Zeit, denn der Himmel im Osten hellte sich bereits auf. Dumpfes Rumpeln drang aus den Gassen der Stadt, kaum hörbar erst, bald aber deutlicher und von allen Seiten. Auch die anderen Männer mussten es gehört haben, jeder war jetzt auf den Beinen und lauschte.
«Alle Mann in Stellung!», gellte plötzlich der Befehl ihres Hauptmanns. «Wir sind umzingelt.»
Unter Trompetenstößen und Trommelwirbeln füllte sich der weite Platz draußen vor dem Graben mit gegnerischen Truppen, zwei Kartaunen wurden in Stellung gebracht, Männer schleppten Leitern herbei, schon krachte der erste Schuss gegen das untere Burgtor.
«Sie stürmen!» Oben zwischen den Zinnen des Nordostturmserschien der
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