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Das Mädchen und die Herzogin

Das Mädchen und die Herzogin

Titel: Das Mädchen und die Herzogin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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ihm aufgetaucht war, ihr liebes, zartes Gesicht, auf dem ein Ausdruck aus Glück und Erschrecken zugleich gestanden hatte. Wie er vor ihr geflohen war, sich Zoll für Zoll durch die Menschenleiber gedrängt hatte, um schließlich unter das Henkerspodestzu kriechen, zitternd am ganzen Leib. Wie über ihm dann der Kopf auf die Planken geschlagen war, gleich einem schweren Scheit beim Holzspalten, und das Geschrei und Gegröle der Zuschauer eingesetzt hatte. In jenem Augenblick wäre er am liebsten aufgesprungen und vor den Henker getreten und hätte geschrien: Nehmt mich als Nächsten. Ich will nicht mehr leben!
    Vielleicht hatte er sich ja deswegen zusammen mit Enderlin anwerben lassen. Um die Begegnung mit dem Tod zu suchen. Bestimmt nicht, um seinem sauberen Landesherrn zum Sieg zu verhelfen. Er liebte seine Heimat, auf den Herzog hingegen gab er keinen Pfifferling. Nein, kämpfen wollte er, kämpfen bis aufs Blut. Sollte das Schicksal entscheiden, was aus ihm würde.
    Unwillig hob er den Kopf und sah hinüber zu den trunkenen Söldnern. Für die war das alles ein Spiel, ein Abenteuer – auch für seinen Freund, der seit dem Schorndorfer Blutgericht nicht mehr richtig Fuß gefasst hatte im Alltagsleben der Dörfler. Einige von den Männern dort drüben waren rechte Dummköpfe, die glaubten, mit ein bisschen Schwertgefuchtel die Bündischen in die Flucht schlagen zu können. Ahnten sie überhaupt, was für ein mächtiger Gegner drüben in Ulm zum Gegenschlag rüstete? Nein, sie ahnten es nicht. Sonst würden sie hier, auf den Wiesen rund um das Kloster Blaubeuren, wo ihr Feldlager aufgeschlagen war, nicht singen und tanzen und saufen, als wären sie auf der Kirchweih.
    Vitus wusste: Was sie hinter sich hatten, war nur ein Mückenschiss gegen das, was bald folgen würde. Ohne nennenswerte Gegenwehr hatten sie nach achttägiger Belagerung und wildem Beschuss mit Eisen- und Feuerkugeln Reutlingen eingenommen. An der Spitze ihres kleinen Heeres war Ulrich eingezogen wie der Kaiser höchstselbst, hatte einenDankgottesdienst abhalten und sich das Siegel der Stadt aushändigen lassen. Danach hatten die Zünfte und Bürger aufmarschieren und ihm mit erhobener rechter Hand Treue schwören müssen. Die stolze Reichsstadt Reutlingen war zur wirtembergischen Landstadt herabgesunken. Als Nächstes sollte Esslingen dran sein.
    Da waren die mächtigen Truppen des Schwäbischen Bundes noch fern gewesen. Jetzt aber sammelten sich, unter dem Oberbefehl des Baiernherzogs Wilhelm, mehr als zwanzigtausend Mann. Nur einen Tagesmarsch von hier warteten sie darauf, über sie herzufallen wie eine Meute Hunde über das wildernde Füchslein. Mit Männern in ihren Reihen, die im Krieg kein Pardon kannten. Georg von Frondsberg mit seinen berüchtigten Fußknechten war dabei; der gnadenlose Truchsess von Waldburg und Franz von Sickingen, der mit seinen achttausend Mannen im letzten Moment von Ulrich auf die Seite des Bundes geschwenkt war. Geblieben war dem herzoglichen Heer lediglich der alte Haudegen Götz von Berlichingen, der es tatsächlich geschafft hatte, zwölftausend eidgenössische Söldner zu gewinnen. Gestern waren sie zusammen mit Herzog Ulrich hier in Blaubeuren eingetroffen. Seitdem floss für jeden, vom Trossbuben bis zum Obersten, der Wein in Strömen, und Ulrich tat alles, um sein Kriegsvolk bei Laune zu halten. Vitus war das letztlich einerlei. Er brannte darauf, endlich kämpfen zu dürfen.
     
    Das sollte alles gewesen sein? Vitus war maßlos enttäuscht. Die ersehnte große Schlacht hatte nicht stattgefunden, da sich die Eidgenossen nur zwei Wochen nach ihrer Ankunft feige aus dem Staub gemacht hatten. Ulrich war mit einem kläglichen Rest an Fußvolk und Reitern allein und machtlos in Blaubeuren zurückgeblieben und hatte geweint wie ein kleinesKind, als die Schweizer vor seinen Augen Mann für Mann wieder abzogen. Kurz darauf war von zwölf Edelknaben die Kriegserklärung überbracht worden. Zähneknirschend hatte er daraufhin den Befehl zum Rückzug gegeben.
    Nun lagerten sie vor den Toren Stuttgarts, in dem verzweifelten Versuch, die Residenz zu halten, und mussten ohnmächtig mit ansehen, wie sich das mächtige gegnerische Heer einem Gewittersturm gleich übers Land wälzte und näher, immer näher rückte. Heidenheim und Göppingen, Kirchheim und der Teck waren schon genommen, und Wilhelms Kriegsvölker schonten das Land und seine Bewohner nicht.
    «Diese Blutsauger», schimpfte Enderlin und hockte sich neben Vitus

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