Das Mädchen und die Herzogin
rotlockige Schopf des Herzogs. «Sie stürmen über die Küferei! Schießt das Haus in Brand!»
Ihre Büchsen- und Geschützkugeln, die jetzt gegen die Feinde krachten, konnten kaum etwas ausrichten, schon gar nicht die lächerlichen Steine, die Vitus gegen die Männer schleuderte – für jeden Angreifer, der aus dem Feld geschlagen war, standen zehn neue da!
Als schließlich der Dachstuhl der Schlossküferei in Flammen aufging, kam es zu einem Tumult. Deutlich mischten sich unter die Rufe und Befehle der Soldaten Frauengeschrei, dann sah Vitus es mit eigenen Augen: Aus dem Tor des brennenden Hauses stolperte eine Handvoll Frauen, aufgelöst und voller Angst, mitten hinein in die Truppen der Belagerer. Nicht gerade sanft drängten die Männer sie in ein Seitengässchen, um sie aus dem Weg zu haben.
«Potzsackerment!», fluchte der Weibel neben ihm. «Ich dachte, die Häuser der Oberstadt sind geräumt.»
In diesem Augenblick begann eine der Frauen sich gegen ihre Fluchthelfer zu wehren wie eine Raubkatze. Vitus hörte deutlich ihre verzweifelten Rufe: «Lasst mich hier! Mein Kind ist da drinnen!»
Verstört ließ Vitus seinen Stein fallen. Marie, die blonde Frau dort unten war Marie!
«Ich fass es nicht», schimpfte der Weibel. «Schon wieder die Verrückte. Die gehört doch ins Tollhaus.»
«Ihr kennt sie?» Vitus begann zu zittern.
«Ihr Kind ist in der Festung. Ein Bastard des Herzogs. Mensch Kerl, mach weiter und halt nicht Maulaffen feil.»
Da übertönte ein ohrenbetäubendes Krachen das Kampfgetöse. Mauersteine barsten, Holz splitterte, dann polterte die Zugbrücke des Haupttors herunter – der Weg in die Festung war frei! Jemand drückte Vitus ein Schwert in die Handund stieß ihn den Wehrgang hinunter, hinein in den Burghof, in dem sich ein Gewimmel von Reitern und Fußknechten drängte, kaum war zu erkennen, wer Freund, wer Feind war.
Vitus schwang sein Schwert und schlug um sich wie ein Berserker. Jeder, der ihm in die Quere kam, sollte krepieren, mitten hinein in die Angreifer warf er sich, sie sollten ihn kennenlernen, denn er, Vitus Beck, hatte nichts mehr zu fürchten auf dieser Welt. An diesem Morgen hatte man endgültig seine erste und einzige Liebe genommen, seine kleine Marie. O ja, sie hatte die Wahrheit gesprochen: Nicht den Pfarrer hatte sie sich geschnappt, nein, gleich den höchsten im Lande – sie hatte sich zur Hure des Herzogs gemacht!
Nur ein Ziel hatte sein brennender Blick noch vor Augen: In diesem Gewühl den Herzog zu finden und ihm eigenhändig den Kopf abzuschlagen.
Unruhig ging Sabina auf und ab. Das Nachtessen stand unberührt auf dem kleinen Ebenholztisch. Man hatte ihr in aller Eile eine Kemenate in der Stadtvogtei von Stuttgart hergerichtet, gleich unterhalb des Gefängnisturms – aber sie hätte auch in einer Scheune Quartier genommen, solange sie nur keinen Fuß ins Schloss setzen musste.
Dreieinhalb Jahre hatte sie auf diesen Augenblick gewartet, und nun brachte sie kaum die wenigen Tage herum, die sie von dem Wiedersehen mit ihren Kindern trennte, die noch immer in der umkämpften Festung waren. Als sie Anfang des Monats erfahren hatte, dass Stuttgart eingenommen war, stand ihr Entschluss sofort fest: Niemand würde sie jetzt noch in München halten können. Gegen den Willen aller hatte sie sich dem bairischen Oberhofmeister Schwarzenberg angeschlossen, den Wilhelm zum Statthalter nach Stuttgart bestellt hatte, war mit ihm und seiner Eskorte in aller Eileaufgebrochen. Dabei hatte es ihr schier das Herz zerrissen, als sie von Ulm her ihr Wirtemberg betreten hatte und erkennen musste, wie übel die siegreichen Bündischen gegen das Landvolk gehandelt hatten. Wie im Türkenkrieg hatten sie gehaust, die Obstbäume und Rebstöcke niedergehauen, die Felder verwüstet, Bauernhäuser geplündert und deren Bewohner misshandelt. Was nun, wenn die verheerten Äcker und Gärten keine Ernte brachten, keinen Wein, kein Obst? Wenn dann zur Hungersnot auch noch die Kriegssteuer kam, die an den Bund gezahlt werden musste? Diese Kriegsmeute war doch überall auf der Welt dieselbe, ganz gleich, ob sie für eine gute Sache kämpfte oder nicht. Was für ein Jammer für dieses Land!
Jemand polterte die Treppe herauf, dann sprang ohne Ankündigung die Tür auf, und Wilhelm stürmte herein.
«Hohentübingen ist gefallen!»
Fast schien es, als wolle er seine Schwester umarmen, doch dann fasste er sich und reckte stolz die Brust. «Was für ein damischer Kohlkopf, dein
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