Das Mädchen und die Herzogin
seiner Menschen würdig ist. Denn noch ist er wie ein ungeschliffener Edelstein, dessen Wert verborgen ist.»
Er verneigte sich tief. «Verzeiht mir meine Offenheit. Ich weiß, es steht mir nicht zu, solche Reden zu führen.»
«Nein, nein – ich danke Euch dafür.»
«Sodann lebt wohl, Euer Liebden.» Er verbeugte sich abermals und ging eiligen Schrittes hinaus. Jetzt erst wurde Sabina bewusst, dass sie sich ganz allein im Rittersaal befand, abgesehen von den beiden Türknechten, die unverhohlen zu ihr herüberstarrten, der eine neugierig, der andre überaus missbilligend.
Vierzehn Tage währte das Fest, während deren rund um die alte Burg die Bürger kostenlos gespeist wurden. Drinnen in den Sälen, in den klösterlichen Pfleghöfen und im Herrenhaus am Markt stärkte man sich bei endlosen Banketten, um sich desto besser bei den wilden Ritterspielen und nächtlichen Tänzen amüsieren zu können – Tag für Tag, Nacht für Nacht, Ulrich allen voran. Vor allem bei den Turnieren war der junge Herzog zur Höchstform aufgelaufen: Er zeigte sich eindeutig als der wagemutigste unter den Reitern. Fast täglich war er auf dem Turnierplatz erschienen, mal nach alter Ritterherrlichkeit in ganzem Harnisch, mal tollkühn nur mit Schild und Lanze. Jede seiner Attacken, jede seiner halsbrecherischen Wendungen über den spritzenden Kies waren von Paukenschlag und Trompetenstoß begleitet, und immer ging er als Sieger hervor, ob bei den Reiterspielen, ob beim Zweikampf oder Lanzenstechen – sofern er diesen Ehrenrang nicht großmütig seinem Freund und Spießgesellen Götz von Berlichingen überließ, der mit seiner kunstvollen Prothese an der rechten Hand eine erstaunliche Waffenkunst an den Taglegte. So gab es hier wie abends beim Tanz nur einen Helden: Ulrich Herzog von Wirtemberg.
Sabina hatte längst erkannt, dass der Herzog nicht ihretwegen so glänzender Stimmung war und von früh bis spät lachte und sang und strahlte und sie hin und wieder sogar in die Arme schloss. O nein – jetzt hatte er endlich einen Anlass gefunden, ungehemmt zu protzen und im Mittelpunkt zu stehen und dem ganzen Reich zu zeigen, welche Bedeutung er hatte und wozu er fähig war!
Ein einziges Mal nur war ein Schatten über dieses glanzvolle Fest gefallen: Als nämlich Ulrich das Heiratsgut von 32 000 Gulden rheinisch von seinem Schwager Wilhelm entgegennehmen sollte, wie es in der Heiratsabrede vereinbart worden war. Da hatte sich sein Gesicht plötzlich verdunkelt, und mit bebender Stimme hatte er 40 000 verlangt – so viel habe man schließlich auch für Sabinas Schwester Sibille gegeben. Ob ihnen denn Sabina weniger wert sei? Ob er, Ulrich von Wirtemberg, in ihren Augen etwa ein geringeres Ansehen habe als dieser Pfälzer zu Heidelberg? Die anwesenden hohen Gäste waren vor Schreck erbleicht, und wieder war es die Herzoginmutter Kunigunde gewesen, die ihn als Einzige beschwichtigen konnte. Die fehlende Summe werde ihm im folgenden Jahr übergeben, dafür bürge sie mit ihrem Wort.
All das war nun vorüber. Eine erschöpfte Stille hatte sich über die Stadt gebreitet, nachdem der letzte Gast der Residenz den Rücken gekehrt hatte und Berge von Müll und Unrat hinausgekarrt worden waren. Sabina hatte sich einen Tag Ruhe ausbedungen, nachdem sie sich von ihren geliebten Brüdern und ihrer Mutter verabschiedet hatte. Bis zum Graben vor dem Tunzhofer Tor hatte sie sie begleitet, sie ein letztes Mal umarmt und ihnen dann nachgesehen, wie sie im Nieselregen zwischen den Obstbäumen verschwanden. Weder Kälte nochNässe hatte sie gespürt, als sie wie gelähmt am Wegesrand stand, bis ihre alte Kinderfrau sie bei der Hand genommen hatte, um sie ins Burgschloss zu führen – ihre treue Lioba, der einzige Mensch, den man ihr, nach langem Bitten, aus den vergangenen Zeiten gelassen hatte.
Und nun saß sie hier am Kachelofen ihrer Stube, starrte zu Boden, während die Bilder der letzten zwei Wochen wie aufgescheuchte Vögel vor ihrem Auge flatterten, ohne Richtung und Zusammenhang. Sie war allein, endlich. Keine Diener und Hofbeamte mehr, die Ulrich ihr aufgenötigt hatte und die ihr gefolgt waren wie ein Schatten, die ihr die Schleppe getragen hatten beim Tanz, bei der Tafel, bei den Ritterspielen. Endlich war sie sie los, diese aufgeputzten Grafen mit ihrer triefenden Höflichkeit! Um wie viel lieber wäre ihr ein einziger Dietrich Speth gewesen. Doch der war nun auch fort, an der Seite seiner Frau.
Ein leises Knurren schreckte
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