Das Mädchen und die Herzogin
sie auf, und sie musste lächeln. Das kleine, noch namenlose Hündchen lag neben ihr zusammengerollt auf der Ofenbank und träumte. Vielleicht von einem großen Hund, gegen den es sich wehren musste. Sie zog es näher zu sich heran und kraulte ihm das schwarzweiße Flauschfell. Im Zimmer roch es noch immer nach frischer Farbe, wie überall im Burgschloss, wo die Wände der Gemächer frisch ausgemalt und mit Sinnbildern versehen waren, eigens zu diesem Hochzeitsfest. Auch in ihrer Stube prangte ein mannshohes Bildnis: ein früchtetragender Baum, über dem sich dunkles Gewölk ballte. Aus den Wolken streckte sich eine Hand mit einem Blitz, der den Baum spaltete, und darunter stand geschrieben: Nur der Tod raubt unsere Gaben. Irgendwann würde sie das Gemälde mit einem Teppich verdecken, denn sollte der Sinnspruch auch tröstlich klingen: Ihr machte das Bild Angst.
Allein die Verschönerung der Säle und Gemächer musste Ulrich ein Vermögen gekostet haben. Fürwahr, er hatte es an nichts fehlen lassen. Als Tochter aus dem Hause Wittelsbach wusste Sabina: Jede höfische Hochzeit pflegte in Prunk und Glanz zu schwelgen – Ulrich indessen hatte mit Sicherheit alle Fürstenhöfe im Reich übertroffen. Sechzehntausend Menschen waren zu Gast gewesen, dazu kamen über siebentausend Pferde, und alle waren sie gespeist und beherbergt worden in dieser kleinen Residenzstadt, über fast zwei Wochen hinweg.
Noch am Abend zuvor hatte ihr der Stadtschreiber Lorch, dieser bucklige Kleinkrämer, den Aufwand für die Gastmähler beschrieben, minutiös und dabei voller Stolz auf seinen Herrn: 136 Ochsen, 1800 Kälber, 130 Schweine, 570 Kapaune, 5000 Hühner habe man geschlachtet, dazu Pfauen, Gänse, Enten, Auerhähne und Tauben. Und aus den Wäldern 500 Stück schwarzes und rotes Wildbret sowie 450 Hasen, an Fischen elf Tonnen Salme und Lachse, fünf Tonnen Rheinfische, 90 Tonnen Heringe und so fort. Sabina hatte seiner Aufzählung irgendwann nicht mehr zugehört. Ihr ging durch den Kopf, was sie vom Haushofmeister erfahren hatte: Dass ihre Hochzeit fast ein Jahreseinkommen des Hofes verschlungen habe. Welch unglaubliche Verschwendung! Am bairischen Hofe wäre so etwas niemals geschehen. Nicht, wo im Lande rundum durchaus Not herrschte, nach etlichen Missernten.
Sie nahm das Hündchen auf den Schoß. Das alles fing gar nicht gut an, auch mit ihr und dem Herzog nicht.
«Du hast noch gar keinen Namen», flüsterte sie dem Tier ins Ohr. Und wie zum Trotz beschloss sie, ihn Fortunatus zu taufen, als ein gutes Omen, denn sie hatte sich fest vorgenommen, ihrem wirtembergischen Volk eine glückliche Regentin zu werden.
5
Marie rieb sich die schmerzenden Handflächen, auf denen sich Blasen zu bilden begannen. Was für eine elende Schinderei! Jede Wette, dass bei ihnen der festgetretene Dreck besonders tief saß. Wie immer im Frühling mühten sich im ganzen Dorf die Frauen und Kinder damit, den Fußboden ihrer Hütten abzutragen und mit frischem Torf oder Rindenmulch aufzufüllen. In anderen Familien gab es nach dieser mehrtägigen Plackerei ein kleines Fest, mit frischem Brot und Wein, doch hier, bei den Schechtelins, würden sie leer ausgehen. Seit Wochen schon gab es nichts als in Wasser gekochtes Getreidemus. So verheißungsvoll das Frühjahr mit seiner ersten Wärme auch war, so entbehrungsreich war es auch immer wieder: Die Wintervorräte gingen zur Neige, das Brennholz dazu, und die Natur hatte noch keine neuen Gaben zu verschenken.
Zu allem Übel mussten Marie, Irmel und die kleine Nele diese Knochenarbeit allein bewältigen, denn die beiden Alten waren auf dem Acker und ihre Vettern Michel und Lenz zur Jagdfron abkommandiert. Die durften also mit Hallo und Geschrei irgendwo im Böblinger Forst, dem Jagdgebiet ihres Herzogs, herumhampeln und das Wild aufscheuchen.
Mit wütendem Schwung stieß Marie den Spaten in die braunfleckige Kruste und schleuderte den tellergroßen Brocken auf die Karre.
Da hielt Irmel mit der Arbeit inne und stützte sich auf ihren Spaten. Ihr Gesicht war verzerrt.
«Was ist mit dir?»
Ihre Base holte ein paarmal keuchend Luft, dann sagte sie: «Geht schon wieder. Nur dieser Gestank – mir ist schon ganz schlecht.»
«Das ist der Hunger. Es ist noch nicht mal Mittag, und mir knurrt schon der Magen. Und vor Sonnenuntergang gibt’s nichts.»
Irmel gab keine Antwort, hielt sich nur leise stöhnend den Bauch.
«O Gott, werd nur nicht krank. Dann muss ich den ganzen Scheiß
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