Das Mädchen und die Herzogin
augenscheinlich lieber war als die seiner eigenen Frau. Und tagsüber, bei seinen Streifzügen durchs Land oder bei seiner geliebten Sauhatz, wollte er sie schon gar nicht dabeihaben. Sie war Luft für ihren Gemahl.
Nein, so hatte sie sich die Ehe nicht vorgestellt. Eine Ehe, in der der eigene Mann zunehmend zum Rätsel wurde. Mal brachte Ulrich ihr eine ausgesuchte Höflichkeit entgegen oder scherzte sogar mit ihr, dann wieder wurde er kalt wie ein Eisklotz, und das von einer Sekunde auf die andere. Dabei waren sie doch in ihrem Wesen gar nicht so verschieden: Beide liebten sie die Natur, die Tiere, zogen eine wilde Jagd, ein spannendes Pferderennen jedem steifen höfischen Zeremoniell vor. Was war das nur, was verhinderte, dass sie wenigstens in Freundschaft zueinanderfanden? Oder war sie einfach nur zu ungeduldig?
Zweimal nur überhaupt hatte er mit ihr geschlafen, das erste Mal in der Nacht, nachdem ihre Familie heimgekehrt war. Er war fröhlicher Stimmung gewesen, nach etlichen Krügen Rotem, ohne jedoch betrunken zu wirken. Trotz der überraschenden Zärtlichkeit und Vorsicht, die er in jener Nacht offenbarte, hatte es furchtbar wehgetan. Wenige Tage später hatte er das zweite Mal ihre Schlafkammer betreten, nüchtern diesmal und beinahe in Eile. Und diesmal hatte es sie nicht körperlich, sondern innerlich geschmerzt, denn er war grob und lieblos wie ein Geißbock vorgegangen und nach dem actus sogleich aus der Kammer gestürzt. Seither hatte sie ihre Ruhe vor ihm. War das nun gut so? Wann hatte sie ihren Gemahl eigentlich das letzte Mal gesehen?
Meist wusste sie nicht einmal, ob er in der Residenz weilte oder unterwegs war. Unverhohlen führte Herzog Urich auch nach ihrer Hochzeit das Leben des ungebundenen Junggesellen fort, im Kreise seiner Freunde oder draußen in der freien Natur, mit seinen geliebten Pferden und den Hunden, die er sich eigens aus England und Spanien kommen ließ. Hier bei Hofe munkelte man, Ulrich fliehe vor seinen ewig nörgelnden Beamten und Ratgebern, die längst das Regimentübernommen hätten – vielleicht also lag es gar nicht an ihr? Jetzt zum Beispiel hieß es, er sei in das Böblinger Jagdschloss gereist, zu einer mehrtägigen Sauhatz. Dorthin wenigstens hätte er sie doch mitnehmen können!
Sabina seufzte und starrte auf das Gedeck vor ihr. Sie verspürte überhaupt keinen Appetit. Woher auch? Sie bewegte sich ja kaum. Von dem Gang jeden Morgen hinüber zur Hofkapelle abgesehen, hatte sie das Schlossgebäude seit etlichen Tagen nicht mehr verlassen, und so waren die einzigen Wege, die sie zurücklegte, die wenigen Schritte zwischen Wohnstube und Schlafkammer oder von ihrem Gemach in die große Tafelstube, wo der Hofstaat des Frauenzimmers sich zum Essen versammelte. Anfangs war sie noch hin und wieder mit Fortunatus in den Garten gegangen, aber selbst dazu hatte sie inzwischen keine Lust mehr.
Wo war ihr Hündchen eigentlich?
Sie stieß einen lockenden Pfiff aus, dem ein Winseln antwortete – leise und verhalten, wie aus der Ferne.
«Das gibt’s doch nicht.» Sie öffnete die größere der beiden Eichenholztruhen, in denen ihre persönliche Habe und ihre Brautausstattung verstaut waren – unberührt seit ihrer Ankunft. «Hier also steckst du. Mitten in meinen kostbaren Wandbehängen. Hoffentlich hast du nicht reingepieselt.»
Behutsam hob sie erst Fortunatus heraus, dann den zuoberst liegenden Wandteppich. Sie faltete ihn auseinander: Er zeigte eine Bildfolge aus Christine de Pizans «Cité des Dames», dem berühmten Fürstinnenspiegel. Und Gott sei Dank unbefleckt von irgendwelchen tierischen Hinterlassenschaften.
Was für ein Kunstwerk dieser Teppich darstellte! Genau wie all die anderen Tapisserien, die sie jetzt nach und nach aus der Truhe zog – am herrlichsten leuchteten ihre golddurchwirkten flämischen Esther- und Judithteppiche. Damitwürde sie das schreckliche Wandbild verdecken, diesen vom Blitz gespaltenen Baum. Und zwar jetzt und sofort.
Sie ließ sich Hammer und Nägel bringen und machte sich daran, ihre Gobelins und Teppiche an die Wände zu spannen, ohne irgendjemandes Hilfe. Als sie gerade in halsbrecherischer Weise zwischen Stuhllehne und Kaminsims balancierte, um einen Nagel einzuschlagen, klopfte es kräftig gegen die Tür.
«Wenn du es bist, Lioba, komm nur herein. Der Rest soll draußen bleiben.»
«Heiliger Joseph von Nazareth!»
Mit einem Satz war Lioba am Kamin und umklammerte Sabinas Hüfte. «Jetzt aber herunter. Das ist doch viel
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