Das Mädchen und die Herzogin
Äckern und in den Gärten gab es genug Arbeit, die jetzt liegenblieb.
«Keiner geht aufs Feld, bevor wir hier nicht fertig sind.»
Wie aus dem Nichts war der Schultes erschienen, auf dem weichen Waldboden hatte ihn und sein zierliches Pferdchen niemand kommen hören.
«Ich versteh euer Genörgel nicht», fuhr er verärgert fort. «Gemeinschaftlich zäunen müssen wir jedes Frühjahr. Die Fichtenzweige stehen schließlich nicht das ganze Jahr im Saft.»
«Aber nicht eine ganze Woche lang. Unsere Weiden sehen ja bald aus wie Festungen.»
«Und wer bringt derweil unsre Bohnen und Erbsen in die Erde? Ihr etwa?», begann jetzt auch Berthe lautstark zu keifen, die kräftigen Arme in die Hüfte gestemmt. Sie war längst wieder auf den Beinen und hatte ihr vorlautes Mundwerk keineswegs eingebüßt. «Aber Ihr als Dorfschultes braucht Euch ja um so was nicht zu scheren.»
«Was für ein dummes Weibergeschwätz! Zu eurem eigenen Nutzen ist das doch. Oder wollt ihr zusehen, wie ein Stück Vieh nach dem andern gerissen wird? Los, los, macht weiter.»
Jetzt ergriff, wie nicht anders zu erwarten, der Lange Gilgen das Wort.
«Kommen die hohen Wildschäden in letzter Zeit etwa vom lieben Herrgott? Sind wir vielleicht die Einzigen, die darunter zu leiden haben? O nein, das wisst Ihr ebenso gut wie wir. Von überall aus den Dörfern hier hört man Klagen gegen das Rot- und Schwarzwild. Weil es nämlich für die Jagd gehegt und gepflegt wird, weil es sich wie die Karnickel vermehrt und alles kahl frisst. Die Hälfte der Ernte wird uns das kosten, weil wir nicht jeden Acker umzäunen können. Und nach den neuen Gesetzen dürfen wir das Wild nicht mal mehr vertreiben, geschweige denn schießen. Sollen doch die Forstknechte unsere Zäune verstärken.»
Marie fand, dass Gilgen ganz recht hatte. Früher hatte man den Hunden wenigstens Schellen umhängen dürfen, damit sie Wild und Vögel vertrieben. Jetzt durften nicht mal mehr die Bären und Wölfe, die ihr Vieh rissen, gejagt werden. Siehockte mit Irmel und den andern Mädchen und Knaben auf der Erde und putzte Fichtenzweige zu Flechtruten. Ihre Hände waren schon ganz wund und rissig. Wie sie diese Arbeit hasste!
«Hoffentlich hat das bald ein Ende», sagte sie leise zu Irmel. Die antwortete nicht. Ihr Blick ging in die Ferne, während sie die Seitentriebe ihres Zweigs abschlug, mit harzverschmierten, blutigen Fingern.
Überhaupt – nichts war mehr wie früher. Da hatten sie wenigstens bei der dümmsten Arbeit tratschen und lästern können, sie und Irmel, doch seit deren Besuch bei der Dorfheilerin bewegte sich ihre Base nur noch wie ein Schatten ihrer selbst: langsam, träge und stumm. Von Tag zu Tag wurde sie seltsamer, redete, wenn sie denn redete, rätselhaftes Zeugs über Gott und sämtliche Heilige oder strich Marie übers Haar und weinte. Und das, wo Irmel ihr doch beteuert hatte, dass sie wieder gesund sei.
Erst gestern hatte die Base ihr ein winziges Stück Seil geschenkt, abgegriffen und zerfasert.
«Von einem Henkersstrick. Das gibt dir Kraft und lässt dich niemals müde werden.»
Marie hatte diesen kostbaren Talisman nicht annehmen wollen, doch ihre Base hatte darauf bestanden, dass sie ihn in den kleinen Lederbeutel legte, den Marie immer bei sich trug. Zu dem hellroten Stein, den ihr Vitus zum Abschied einst geschenkt hatte. Dabei hatte Irmel zum ersten Mal seit Ewigkeiten gelächelt und gesagt, wie gut es Marie doch getroffen habe. «Du bist so fein, so zart, mit deiner weißen Haut und deinem goldfarbenen Haar. So schön. Du wirst eines Tages glücklich sein mit deinem Vitus.» Hatte ihr dabei die Haube gelöst, sodass Maries Haar in dichten Wellen über die Schulter fiel.
In jenem Augenblick hatte Marie weinen müssen, über die seltsamen Worte, über Irmels wirren Blick und vor lauter Sehnsucht nach Vitus, den sie seit über einem Jahr nicht gesehen hatte. Dabei hatte er ihr geschworen, jedes Frühjahr einmal in den Schönbuch zu kommen. Und jetzt war es bereits Ende Mai. Hatte Vitus ihre Freundschaft etwa verraten? Ihre – Liebe?
Verschämt wischte sie sich eine Träne aus dem Augenwinkel und sah dem Schultes nach, wie er davongaloppierte.
«Ja, Potzsapperment – da schlägt’s doch dreizehn.»
Berthe riss ihrer Tochter die Zweige aus der Hand. «Das sollen Flechtruten sein? Säbelst dir ja mehr in die Finger als in die Zweige. Herr im Himmel, warum nur hast du mich mit solch einem Monstrum gestraft? Unnütz wie ein alter Kürbis, und dabei
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