Das Mädchen und die Herzogin
Pfad am Fuße des Berges. Der Herzog vor ihr wandte den Kopf, sie glaubte ihn schallend lachen zu hören, dann sprang sein Pferd über die Absperrung und raste in den lichten Wald hinein.
«Nein!», brüllte von Hutten, aber es war zu spät. Sabinas Schimmel setzte zu einem gewaltigen Sprung an, der sie fast aus dem Sattel geschleudert hätte, dann machte er sich flach und schien alles daranzusetzen, den Rappen vor ihm einzuholen. Schlagartig wurde ihr klar, dass sie das Tier nicht mehr in der Gewalt hatte. Dicht unter den Bäumen raste es hindurch, Sabina duckte sich, presste sich an den Pferdehals, bei jedem Blick nach vorn peitschten Zweige ihr Gesicht, sie konnte nur noch beten, dass das hier gut ausging. Dann flogen ihr plötzlich Brocken nasser Erde um die Ohren, sie wagte es kaum, den Kopf zu heben: Ulrichs Pferd galoppierte jetzt unmittelbar vor ihr, und tatsächlich, Zoll um Zoll arbeitete sich der Schimmel vorwärts, schob sich an dem Rappen vorbei, Sabina sah ein Amen lang Ulrichs verblüffte Miene, dann schoss ihr Pferd mit einem letzten Galoppsprung nach vorn und durchquerte eine Uferwiese, bis es nahe einer Mühle zitternd und schnaubend zum Stehen kam.
Sabina wischte sich über das Gesicht. Der scharfe Ritt und die Wut hatten ihr Tränen in die Augen getrieben. Dann sah sie das Blut auf dem Handrücken. Ihre linke Wange brannte.
«Wolltet Ihr mich umbringen?», stieß sie hervor, als Ulrich neben ihr das Pferd durchparierte. Sein Blick war weniger besorgt als hochmütig.
«Ihr habt es so gewollt. Kehren wir irgendwo ein und stärken uns.»
Sie hatte genug, der schöne Tag war ihr vergällt.
«Nein, ich reite zurück.»
Mit zitternder Hand wendete sie ihr Pferd und ritt zurück zum Waldrand, wo ihr Hans von Hutten entgegenkam. Das lange blonde Haar hing ihm wirr in die Stirn.
«Dem Herrgott sei Dank – Ihr seid nicht gestürzt!»
«Und damit das so bleibt, reite ich keinen Schritt weiter mit Eurem Herzog.»
«Aber Ihr blutetet ja. Wartet, Ihr könnt nicht so allein – ich begleite Euch.»
«Nichts da», schrie Ulrich herüber und ballte die Faust in der Luft. «Lass die Herzogin gehen, du kommst mit mir.»
«Bitte verzeiht mir, wenn ich gehorche, Euer Fürstlich Gnaden», flüsterte Hans. Dabei schlug er wie eine Jungfrau die Augen nieder.
«Es wird Euch wohl nichts andres übrigbleiben», entgegnete sie schärfer als beabsichtigt und ließ den jungen Stallmeister stehen.
Binnen weniger Tagen zog der Frühling mit sommerlicher Wärme ins Land. Er ließ das Grün der Wegränder und Wiesen explodieren, brachte die Obstbäume zu schwelgender rosa und weißer Blüte und die Amseln und Lerchen des Morgens zum Jubilieren.
Herzog Ulrich hatte sich nach jenem rasenden Wettlauf keinesfalls entschuldigt, noch überhaupt ein Wort darüber verloren. Stattdessen erfuhr Sabina tags drauf, er sei für einige Zeit in Tübingen, um die Umbauarbeiten der alten Pfalzgrafenburg zum Schloss zu beaufsichtigen. Sie atmete regelrecht auf, und es verging kein Tag in diesen ersten Maiwochen, an dem sie nicht wenigstens für ein, zwei Stunden hinausritt – in den Frühstunden durch die sonnigen Obstwiesen oder Weingärten, die sich über sanfte Hügel legten, oder nach Mittag dann, wenn die Kraft der Sonne den Sommer schon erahnen ließ, in die schattigen Wälder oben im Westen der Residenz. Selbstredend war Hans von Hutten immer an ihrer Seite. Begleitet wurden sie beide, um Anstand und Schicklichkeit zu wahren, von einem der Edelknaben aus Sabinas Frauenzimmerund mindestens einem von Ulrichs schwerbewaffneten Trabanten. Mit von der Partie war natürlich auch Fortunatus, der, wenn das Laufen seine kurzen Beinchen ermüdet hatte, sich vor ihr auf dem Sattel zusammenkauerte. Fast war das Leben wieder wie früher, in ihrem geliebten München. Und ein Stück weit vermochte Hans von Hutten, in seiner warmherzigen, jungenhaften Art, gar ihre Brüder zu ersetzen.
Von ihm erfuhr sie allerlei über die wirtembergische Residenz und ihren Hofstaat, denn er konnte, wie sie schon bald bemerkte, mitunter ein rechtes Tratschweib sein. Er entstammte einem alten fränkischem Rittergeschlecht. Als jüngster von vier Brüdern und einer Schwester hatte er von klein auf am Stuttgarter Hof gelebt, wo er seine Dienste als Bube, dann als Kammerjunker geleistet hatte und bald zum Günstling und Freund des jungen Herzogs aufstieg und dabei den überaus gewichtigen Rang des Obriststallmeisters erlangte. Die beiden waren
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