Das Mädchen und die Herzogin
mussten sie auf der langen Bank sitzen, waren angehalten zu arbeiten und bei Tisch nur zu flüstern. Schlimmer hatten es nur noch die Mägde.
Auch am Münchener Hof hatte eine ausgefeilte Hofordnung den Alltag geregelt, indessen wurde sie nie so streng gehandhabt wie hier unter Notburga Dörr. Einige Male schon hatte Sabina sie gebeten, die Zügel doch ein klein wenig lockerer zu lassen, doch damit biss sie auf Granit. Die Witwe pflegte ihr zu antworten: «Wenn bei Hofe nicht Zucht, Ordnung und Sicherheit gewährleistet sind – wo dann?»
«Was wird eigentlich im Frauenzimmer so über mich gesprochen?», fragte Sabina eines Tages ihre Kinderfrau. Sie genossen die Abendsonne im Herzogingarten, inzwischen einer ihrer liebsten Orte. Zwar kümmerten sich die Gärtner immer noch viel zu wenig um die altehrwürdige Anlage, doch prangte sie jetzt, in diesem angenehm warmen Juni, in herrlichster Blütenpracht und ergoss gerade zur Abendstunde eine Kaskade von Düften über die Besucher.
Lioba verzog die Lippen. «Wollt Ihr das wirklich wissen?»
«Aber ja.»
«Nun – dass der gnädige Herr mit der gnädigen Herrin immer launenhafter würde.»
Sabina seufzte. Sie hatten ja recht, diese Tratschweiber. Kaum noch zeigte sich Ulrich mit ihr in der Öffentlichkeit,und wenn, dann begegnete er ihr mit kühler Höflichkeit. Dafür verkehrte er im Marschallenhaus offenbar ungezwungener denn je, wenn auch immer in Begleitung des braven Hans von Hutten. Das alles war für Sabina als Fürstin ein Ärgernis und als Ehefrau mehr als kränkend. Ulrich unterstand sich sogar, Ursula Thumbin ins Schloss zu holen: Dreimal schon hatte er sie zu kleineren Festlichkeiten in den Rittersaal geladen. Der Obriststallmeister hatte sie zu beruhigen versucht: Der Herzog tue das alles ihm zu Liebe, schließlich habe er selbst, Hans von Hutten, ein Auge auf das schöne Fräulein geworfen.
Ha, von wegen! Sabina schleuderte mit dem Fuß den hellen Kies in die verwilderten Blumenbeete, und Fortunatus sprang erschrocken auf. Viel zu lange hatte sie sich damit beruhigt, dass es ihrem Gemahl wohl einfach schwerfiel, von seinem Junggesellenleben Abschied zu nehmen, viel zu lange hatte sie ihm das alles als Kindereien nachgesehen. Aber gab es denn irgendwelche Anzeichen der Besserung? So langsam hatte sie genug. Wie einfältig dieser Stallmeister war. Sah er denn nicht den schmachtenden Ausdruck in Ulrichs Blicken, wenn ihm diese blöde Schnepfe nur in die Nähe kam?
Zu allem Übel konnte Ursula mit einer Schönheit und Anmut aufwarten, mit der Sabina selbst nicht annähernd gesegnet war – dazu brauchte sie nur einen Blick in den Spiegel zu werfen. Ganz Stuttgart schwärmte davon, wie begehrenswert schön, wie reizvoll und galant das junge Fräulein sei, mit seinem dichten Blondhaar und der zarten, rosig überhauchten Alabasterhaut, der zierlichen Statur, den ach so feinen, ebenmäßigen Zügen. Auch wenn diese Frauensperson wahrscheinlich nicht mal zwei und zwei zusammenrechnen konnte.
Nie zuvor im Leben hatte sich Sabina solche Gedankengemacht, hatte sich weder für hässlich noch hübsch befunden, hatte nie darüber nachgedacht, ob ihre Hände nun besonders kräftig waren oder ihre Nase zu lang. Da musste sie erst diesen Wirtemberger heiraten, um plötzlich mit den stupidesten Selbstzweifeln zu kämpfen. So hatte sie sich das Leben als Herzogin wahrhaftig nicht vorgestellt. Und dann – dieser seltsame Brief, diese Warnung des geheimnisvollen Unbekannten. Nachdem der erste Schreck verflogen war, hatte sie stunden- und tagelang darüber gegrübelt, wer dieser angebliche Freund wohl sein mochte. Es konnte nur jemand aus ihrer engsten Umgebung sein, jemand, der zum Ohrenzeuge ihres nächtlichen Streits geworden war. Hans von Hutten? Aber der lauerte nicht nachts vor ihrem ehelichen Schlafgemach. Also musste es irgendwer aus dem Hofstaat des Frauenzimmers sein. Lioba war es nicht – deren ungelenke Schrift erkannte sie sofort. Notburga Dörr? Nein, die alte Schreckschraube würde nichts auf ihren geliebten Herzog kommen lassen.
Schließlich hatte Sabina es aufgegeben und entschieden, dieses ganze Schreiben nicht ernst zu nehmen. Es klang auch allzu überzogen und schwarzmalerisch – Herzog Ulrich fähig, im Zorn einen Menschen zu vernichten! Was für ein Unsinn! Gewiss, er war arg hitzköpfig, aber das kannte sie auch von ihrem Bruder Wilhelm. Sie würde sich davon nicht einschüchtern lassen. Das Wichtigste war, dass sie vor ihrem Hofstaat, vor
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