Das Mädchen und die Herzogin
mit jedem Tag fauler und träger.»
Sie schlug Irmel die Zweige mit Schwung um die Ohren, dass es nur so durch die Luft pfiff. Auf Irmels Wangen zeigten sich dunkle Striemen.
«Nein, Muhme, hör auf damit!»
Marie warf sich gegen Berthes Arm, mit dem Ergebnis, dass der nächste Hieb ihr galt.
Da begann Irmel zu schreien. Erst verhalten, dann immer lauter, den verunstalteten Mund weit aufgerissen. Gilgen und seine Brüder ließen ihre Holzschlägel sinken, Utz sein Beil, und die Frauen entlang des Zauns hielten mit dem Flechten inne. Alle starrten herüber, damit ihnen auch ja nichts von diesem Schauspiel entging.
«Wirst du wohl aufhören zu schreien?», brüllte nun auch Berthe. Doch Irmel hielt sich die Ohren zu, warf den Kopf in den Nacken und schrie und schrie und schrie.
Berthe stand fassungslos vor ihrer Tochter. «Sie ist tollgeworden! Herrgott im Himmel, sie ist toll geworden! Jetzt verliert sie ihr letztes bisschen Verstand!»
Marie versuchte, Irmel zu beruhigen, griff nach ihrer Hand. Da schlug ihre Tante zu. Beim ersten Schlag traf es Marie, und sie kippte rückwärts ins Gras. Danach prasselten die Schläge auf Irmel herab, einer am andern, gegen Kopf, Schulter, Rücken, längst gab das Mädchen keinen Laut mehr von sich.
«Bist du des Teufels?» Utz löste sich aus seiner Erstarrung und packte sein Weib. Irmel kam frei. Ihr Gesicht war blutverschmiert, der Blick aus den aufgerissenen Augen wie von Sinnen. Stumm starrte sie in die Runde, dann erhob sie sich mühsam, drehte ihnen den Rücken zu und humpelte davon.
Marie wollte ihr nach.
«Wirst du wohl hierbleiben!» Berthe hielt sie fest.
«Aber – sie ist verletzt. Jemand muss nach ihr sehen.»
«Halt’s Maul und mach deine Arbeit!»
Bittend sah sie zu Utz, schließlich war er der Hausvater und hatte zu entscheiden. Der schüttelte müde den Kopf: «Du bleibst. Irmel kann allein nach Haus.»
Doch zu Hause war sie nicht. Keiner sprach ein Wort, als sie um ihre abendliche Schüssel mit Getreidemus saßen. Irgendwann nahm Marie all ihren Mut zusammen.
«Sollen wir nicht nach ihr suchen gehen?»
«Das wär ja noch schöner», brauste ihre Muhme sofort wieder auf. «Das Luder kommt schon wieder heim. Werdet sehn.»
Doch Irmel kam nicht nach Hause, weder in der Nacht, noch am nächsten Morgen. Es waren Marie und ihre kleine Schwester Nele, die sie schließlich fanden, bei der großen Lichtung am Jägerstand. Friedlich und still baumelte sie dort am Querbalken, ihr Kopf gegen die Brust gesenkt, als hieltesie nur ein Nickerchen. Wären da nicht die Zunge gewesen, die dick und blau seitlich aus dem Mund hing, und die aufgerissenen Augen.
7
Ulrich Herzog von Wirtemberg, der schneidige Kämpfer und stolze Herrscher, benahm sich weniger denn je wie ein fürstlicher Ehegemahl. Das tuschelte man jedenfalls seit längerem im herzoglichen Frauenzimmer. Sabina spürte die mitleidigen Blicke genau, wenn sie zu den Mahlzeiten die Tafelstube aufsuchte und die Jungfern vom unteren Tischende zu ihr herübersahen, um dann verstohlen zu tuscheln oder zu kichern, bis die alte Hofmeisterin, eine Witwe bürgerlicher Herkunft, sie zur Räson brachte. Sabina selbst konnte den Mädchen ihr kindisches Verhalten sogar nachsehen, hatten diese sieben Edelfräulein, die man zur Erziehung an den Stuttgarter Hof geschickt hatte, doch sonst so gar nichts zu lachen unter der Hofmeisterin.
Allzu wörtlich, fand Sabina, nahm die gestrenge Notburga Dörr die herzogliche Hofordnung. Mit Argusaugen wachte sie über Tugend und christlichen Lebenswandel ihrer Schützlinge und darüber, dass sie ihre Zeit zum Spinnen, Sticken und Nähen nutzten. Ohne Notburgas Erlaubnis gelangte kein Besucher ins Frauenzimmer, durften die Jungfern keine Gespräche mit Männern führen, mit Fremden schon gar nicht, durften keine Briefe und Geschenke annehmen oder weitergeben. Die einzigen männlichen Wesen, die die Edelfräulein regelmäßig zu Gesicht bekamen, waren außer den Tür- und Tafelknechten der Mundschenk und der Fürschneider, und sowar das für die beiden Ärmsten ein wahres Spießrutenlaufen unter den Blicken der Mädchen, wenn sie Speis und Trank in die Tafelstube brachten. Dazu lebten die Jungfern in fast klösterlicher Abgeschiedenheit. Außer morgens zum Gottesdienst durften sie die Gemächer des Frauenzimmers nur in seltenen Ausnahmefällen verlassen, die Schlüssel verwahrte die Hofmeisterin. Und während der mittäglichen Besuchszeit, unter ihrer oder der Türhüter Aufsicht,
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