Das Mädchen und die Herzogin
Naschwerk, vielleicht erzähle ich dir ein andermal mehr hiervon. Was ich jedoch daraus gelernt habe und auch dir ans Herze legen möchte, ist die Erkenntnis, dass selbst die widrigsten Umständ sich zum Guten wenden mögen.
Lass also die Hoffnung nicht fahren, mein geliebtes Kind. Aber gleichermaßen bitt ich dich inständig: Versuche deinem Gemahl in Freundschaft, Geduld und Demut zu begegnen, ihn so viel als möglich zu lieben –»
Sie ließ das Blatt sinken. Freundschaft, Geduld und Demut – hatte sie das nicht beherzigt vom ersten Tag der Hochzeit an? Und doch war es mit ihr und Ulrich statt besser nur übler geworden. Wie viel Geduld und Demut sollte sie denn noch an den Tag legen? Sie schlug mit der flachen Hand auf die Lehne. Ihre Mutter hatte leicht reden, bei ihr und ihrem Vater hatten sich Herzenswunsch und Fürstenräson vereinigt! Seit sie denken konnte, waren sich die beiden zugetan, und wenn sie jetzt die Augen schloss, sah sie die Eltern in trauter Zweisamkeit am Erkerfenster sitzen, damals in der Alten Veste, und das machte sie nur noch wütender.
Am darauffolgenden Sonntag, einem windigen, nasskalten Tag Anfang November, marschierten sie, zu Fuß und ohne Sänfte, in die Stadt: Ulrich mit vier bewaffneten Leibdienern, Sabina mit ihrem Hündchen im Arm, dazu Haushofmeister Philipp von Nippenburg sowie als neuer Hofmeister des Frauenzimmers Dietegen von Westerstetten und dessen Frau Maximiliana, eine fette und ewig missmutige Matrone, die dazu ausersehen war, Sabinas Schleppe zu tragen. Sabina hatte am Morgen lange überlegt, ob sie sich entschuldigen lassen sollte, denn sie litt, wie häufiger in den letzten Wochen, an Kopfschmerzen, und nun war noch ein leichtes Schwindelgefühlhinzugekommen. Als sie dies Ulrich gegenüber angedeutet hatte, war der ihr sogleich über den Mund gefahren: «Du kommst mit, und wenn ich dich hinter mir herschleifen muss.»
Vor dem schmucken Giebelhaus am Markt bewachten zwei Lakaien das Eingangsportal. Ehrerbietig verbeugten sie sich vor ihrem Landesherrn und dessen Gemahlin. Dann öffneten sie die Türflügel zur Eingangshalle, die im warmen Schein Dutzender Wandleuchter strahlte. Auch die Treppe, die rechts und links der Halle in anmutigem Bogen nach oben führte, war von Lichtern gesäumt, und Sabina dachte sich, um wie viel glanzvoller ist doch ein Haus, wenn es warm und hell ist, da braucht es kein Goldgeglitzer und keine Prunkmöbel. Und dann: Wie wird sie sein, die Frau des Ritters, wie wird Dietrich sein, im Kreise seiner Familie?
Von oben drang Stimmengewirr aus der geöffneten Tür des Saals, sie hörten eine Männerstimme die Ankunft des Fürstenpaares verkünden. Schlagartig wurde es still. Die letzten Schritte die Treppe hinauf vermeinte Sabina, ihren eigenen Herzschlag zu hören. Sie blieb stehen und musste sich am Geländer festhalten, denn vor ihren Augen begannen die Kerzenflammen zu tanzen. Beinah grob nahm Ulrich ihren Arm und führte sie hinein.
Sabina blinzelte, so hell war es auch hier mit all den Kerzen und dem knisternden Kaminfeuer. Wie geizig hatte dagegen Ulrich ihr Burgschloss mit Licht ausgestattet – eines Tages würde sie das ändern, koste es, was es wolle. Ansonsten war der große rechteckige Raum mit den hübschen Erkerfenstern recht einfach eingerichtet, ohne Pomp und Klunker, auch ohne diesen alten Kram an den Wänden, den Ulrich so liebte, wie Hirschgeweih, Harnisch und Panier. Stattdessen warteten überall weichgepolsterte Sessel und Stühle auf die Gäste, allein warmem, hellem Grün gehalten, die Wände schmückten ein paar wenige, dafür umso eindrucksvollere Gobelins, der Fliesenboden war mit türkischen Teppichen bedeckt, die an solch kalten Tagen heimelige Wärme verhießen. Entlang der Längsseite mit den Erkern erstreckte sich die Festtafel, bedeckt von einem einfarbigen dunkelgrünen Tischteppich, auf dem jemand mit leichter Hand buntes Weinlaub und Herbstfrüchte verteilt hatte.
In kleinstem Rahmen, hatte es geheißen, doch der Saal war voller Menschen; die meisten davon kannte Sabina nur vom Sehen oder gar nicht. Sie stand mit ihrem Gemahl mitten im Raum, um sich den anderen Gästen angemessen zu präsentieren, und so beugte ein jeder das Knie, knickste und dienerte, während sie selbst und Ulrich huldvoll in alle Richtungen nickten. Diese Augenblicke mochte Sabina ganz und gar nicht, doch zum Glück ging es hernach bei solchen Gesellschaften alles andere als förmlich zu, diese Erfahrung hatte sie bereits
Weitere Kostenlose Bücher