Das Mädchen und die Herzogin
Beischlaf verabscheute. Womöglich gereichten diese Dinge nur dem männlichen Geschlecht zum Vergnügen, und Ulrichs Verhalten hatte gar nichts Absonderliches.
Als der Herbst mit seinen Stürmen übers Land fegte, hörte sie, dass Dietrich Speth seine Familie nach Stuttgart geholt hatte. Und wie jedes Jahr zu diesem Anlass gab er ein kleines Festbankett in seinem Stadthaus. Ulrich höchstpersönlich brachte ihr die Einladung.
«Am Sonntag, nach dem Kirchgang. Die Schneiderin soll dir ein neues Kleid machen, in Gold und Dunkelgrün. Du legst zu wenig Wert auf dein Äußeres.»
Sie nickte nur, und Ulrich wandte sich bereits zum Gehen, da fiel sein Blick auf die Wand neben dem Kachelofen, wo von dem größten der Teppiche Judith auf ihn herabsah, mit halbgeschlossenen Augen und einem spöttischen Lächeln auf den Lippen. Ihre Rechte hielt das blutige Schwert, die Linke das abgeschlagene Haupt des Holofernes am dunklen Haarschopf, während im Hintergrund der kopflose Feldherr sich krümmte.
Ulrich stand und glotzte, als erblicke er diesen Wandbehang zum ersten Mal. Als sehe er überhaupt zum ersten Mal ein Bildnis Judiths, der Retterin der Israeliten, dieser starken wie schönen Jungfrau und Witwe, die ohne Wimpernzucken einen Kriegshelden zu köpfen vermochte – ein Bildmotiv, das seit langer Zeit schon in Mode war, namentlich in fürstlichen Frauenzimmern.
Sabina zuckte zusammen, als Ulrich mit beiden Händen an der Tapisserie zu zerren begann. Ein hässliches, ratschendes Geräusch entstand, als an den genagelten Ecken das Gewirke riss, bis der Teppich zu Boden sank und neben dem Ofen wieder der gespaltene, sterbende Baum zum Vorschein kam. Mit einem Satz verschwand Fortunatus unter der Anrichte.
Einem Veitstänzer gleich trampelte Ulrich mit seinen Lederstiefeln auf dem schweren Stoff herum.
«Das männermordende Weib! Das beeindruckt dich, hab ich recht?» Seine Stimme schwang jetzt im Falsett. «Träumst du
davon
? Mit einem einzigen Schlag das Haupt deines Ehegefährten –»
«Hört auf!»
Sabina hatte ihn angebrüllt wie nie zuvor. Tatsächlich hielt Ulrich inne. Dann verließ er die Stube ohne ein weiteres Wort.
Sabina bückte sich, um den Schaden zu begutachten. Er war geringer als befürchtet, nur die Ränder waren an einigen Stellen gerissen und mussten ausgebessert werden. Trotzdem kämpfte sie mit aller Kraft gegen die Tränen an.
Wenig später klopfte es, und ein Bote überreichte ihr zwei Schreiben aus München, eines von den Brüdern, eines von ihrer Mutter. Mit zitternden Händen erbrach sie die Siegel und ließ sich in ihren Lehnstuhl sinken. Sofort sprang Fortunatusihr auf den Schoß, wo er sich mit einem zufriedenen Seufzer zusammenrollte.
Als Erstes zog sie das edle Pergament ihrer herzoglichen Brüder auseinander. Es waren nur wenige Zeilen, von Wilhelm verfasst, in denen er mit keinem Wort auf ihre Lage einging. Stattdessen schrieb er von der nach mageren Jahren erstmals wieder hinreichenden Ernte, die Gott dem Baiernland gnädig gewährt hatte und die das aufrührerische Landvolk wohl besänftigen würde; dann folgten einige missmutige Andeutungen zur künftigen Regentschaft, an der Ludwig hartnäckig teilzuhaben verlange, da er sich zum Bedauern aller nicht mit seiner Grafenstellung begnüge.
Das Schreiben schloss mit den besten Wünschen zu ihrer Gesundheit und einem herzlichen Gruße seitens ihres alten Lehrers und Erziehers, Johannes Aventinus. Dann folgten ein
Gott zum Gruße
ihres jüngsten Bruders Ernstl sowie ein Postscriptum von Ludwig:
Lass dich nicht unters Joch zwingen von diesem schwäbischen Rotfuchs!
In ganz anderem Tenor hingegen gab sich die Botschaft ihrer Mutter.
Gott zum Gruße
, schrieb Herzogin Kunigunde,
und in aufrichtiger Hoffnung, dass du bester Gesundheit bist, allen Widrigkeiten zum Trotze. In großer Betrübnis antworte ich dir heutigentags auf deine Zeilen, die mich in mütterliche Sorge versetzt haben.
Es ist nicht recht, wie dieser Herzog, den Sohn zu nennen ich kaum vermag, dich quält und missachtet. Indessen bist du nicht die erste Fürstin, die solchermaßen in ihrer Ehe ihren Packen zu tragen hat, und so vertraue ich ganz deiner weiblichen Klugheit, dass du es vermagst, die Dinge zum Besseren zu wenden. Das braucht gewiss seine Zeit, zumal du jung und unerfahren bist und noch so wenig vom Leben weißt. Aber die Erfahrung kommt mit den Jahren, das glaube mir.
Auch die Ehe mit deinem lieben Vater, Gott hab ihn selig, war zu Anbeginn kein
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