Das Mädchen und die Herzogin
ich. Das Frauenzimmer ist nur ein ziemlich unbedeutendes Anhängsel
meines
Hofstaats, merkt Euch das ein für alle Mal. Und noch etwas», er packte ihren Unterarm und griff so fest zu, dass es schmerzte, «Ihr steht über Eurem Gesinde, und ich stehe über Euch.»
Er schob sein Gesicht dicht vor ihres. Die Pupillen im Graugrün seiner Augen hatten sich zu winzigen schwarzen Punkten verengt. «Ich hoffe, dass das hiermit für jetzt und alle Zeiten klargestellt ist.»
Sie schüttelte seine Hand ab.
«Darauf erwartet Ihr ja wohl keine Antwort», sagte sie kalt. «Und nun entschuldigt mich für den Rest des Tages. Ich fühle mich unpässlich.»
Damit machte sie auf dem Absatz kehrt und eilte zurück ins Schloss.
Trotz des herrlichen Spätsommerwetters verließ sie an diesem Tag ihre Stube nicht mehr, gab Fortunatus in die Obhut einer der Jungfern und bat den Türhüter, keine Störung zuzulassen. Sie ließ sich Gänsekiel, Tinte und Sandfässchen bringen und begann zu schreiben. Zwei lange Briefe hatte sie bis zur Abendmahlzeit fertig, einen an ihre beiden Brüder, einen an ihre Mutter. Fast jede Woche pflegte Sabina ihnen zu schreiben, doch zum ersten Male stand nicht die Gesundheit der Familie im Mittelpunkt ihrer Zeilen oder ihre Bitte um Ratschläge zur Hofhaltung oder auch ihr Kommentar zu den neuesten Zeitungen aus dem Reich. Nein, zum ersten Mal wagte sie, sowohl den geliebten Brüdern als auch ihrerMutter gegenüber, ihr Herz auszuschütten über die täglichen Demütigungen in ihrem Eheleben.
Am nächsten Tag musste sie mit Hals- und Kopfschmerzen, Schüttelfrost und Fieber das Bett hüten. Allein das stundenlange Liegen war ihr, die seit Kindertagen fast niemals krank gewesen war, eine Qual. Doch jedes Mal, wenn sie sich erhob, pochte der Schmerz noch heftiger an die Schläfen, und ein unerträgliches Schwindelgefühl zwang sie zurück ins Bett. Am Abend schließlich ließ Lioba entgegen Sabinas Protesten den Medicus rufen.
«Sommerkatarrh», befand Hofarzt Sauerbruch, nachdem er einen Blick in Sabinas weitgeöffneten Rachen geworfen hatte. Er gehört zur jener neumodischen, wenn auch noch seltenen Species von Ärzten, die immer und überall frische Luft predigte. Auch jetzt wies Doctor Sauerbruch die Kammerdienerin und Lioba an, dafür Sorge zu tragen, dass nachts die Fenster offen blieben. Im Augenblick sei äußerste Ruhe vonnöten, doch sobald das Fieber gefallen sei, solle Ihre Durchlaucht des Morgens und des Abends im Garten spazieren gehen, selbstredend nur in Begleitung und mit einem Wolltuch um den Hals. Dann übergab er Lioba ein Elixier und eine Rezeptur für die Hofapotheke.
Vorerst aber stieg das Fieber in erschreckendem Maße. Lioba ließ ihr Bett in Sabinas Schlafkammer bringen und wechselte alle zwei Stunden die Wadenwickel, der Hofarzt selbst sah jeden Morgen und jeden Abend nach ihr. Sabina verbrachte diese Zeit in einer Art Dämmerzustand, in dem sie nicht zu sagen vermocht hätte, ob es Tag oder Nacht war, Sommer oder Winter.
Als nach etlichen Tagen das Fieber endlich nachließ, fühlte sich Sabina erschöpft und gereizt. Ihr trockener Husten hatte sich verfestigt und ließ sie des Nachts nicht mehr schlafen.Da halfen weder Salbei- und Kamillensud noch Sauerbruchs Schröpfköpfe. Und mit der ewigen Husterei kehrten auch die Kopfschmerzen zurück. Jedes Klirren von Geschirr, jedes Gebell von Fortunatus hallte schmerzhaft in ihrem Schädel wider. Keiner durfte mehr in Holzschuhen ihre Gemächer betreten, man unterhielt sich im Flüsterton, und Hofdamen wie Gesinde waren angewiesen, sich nicht unnötig auf den Gängen des Frauenzimmers aufzuhalten.
Wohltuende Stille kehrte in diesen Teil des Burgschlosses ein – es war die Ruhe vor dem Sturm. Bereits am frühen Abend hörte Sabina gedämpfte Cembalo- und Lautenklänge. Sie schienen aus dem Rittersaal unter ihr zu kommen. Kurze Zeit später setzten Trommeln und Trompeten ein, immer lauter spielte die Hofkapelle, jetzt hörte sie auch deutlich ausgelassenes Lachen und Singen.
«Das ist die Höhe!» Lioba stand im Türrahmen, und ihre Augen blitzten vor Zorn. «Der Herzog hat zum Tanzfest geladen. Feiert, während Ihr hier krank daniederliegt und äußerste Ruhe bräuchtet.»
«Tanzfest?»
Dass Ulrich kein einziges Mal nach ihr gesehen noch sich nach ihrem Befinden erkundigt hatte, war ja zu erwarten gewesen. Aber so etwas?
«Sie feiern die Bestallung des neuen Hofmeisters fürs Frauenzimmer. Ach, hättet Ihr das nur nicht erwähnt
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