Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
den Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf, bevor ich die Ursache für diese eigentümliche Schnitzeljagd erkannte.
Inmitten eines Haufens aus aufgerissenen Pappkartons, heraus-gezerrten Ketten aus Jaguarzähnen, Haarkämmen aus Palmblättern und Affenknochen entdeckte ich meine Tochter. Sie kniete auf dem Fischgrätparkett, auf ihrem dunkelblonden Haar thronte majestätisch ein Federkränzchen. Mein Puls beschleunigte sich. Das war mein Kopfschmuck! Als kleines Mädchen hatte ich ihn nur zu ganz besonderen Anlässen aufsetzen dürfen. Der dichte Kranz aus den gestutzten Federn des Felsenhähnchens leuchtete genauso strahlend wie in meiner Erinnerung. Ein Wechselspiel aus sattem Rot und leuchtendem Orangegelb. Farben, so sprühend wie die Flammen des Feuers. Die nackten Füße meiner Tochter steckten in Beinrasseln aus hölzernen Samenkapseln, über ihre Arme hatte sie wertvolle Rasseln aus schimmernden Käferflügeln geschoben. Glapoglappo- Käferflügel. Nach diesem Käfer hatten wir manchmal wochenlang gesucht. Ihn zu finden war nicht leicht, ihn zu fangen, ohne seine Flügel zu zerbrechen, noch schwieriger. Bei jeder Bewegung gaben die Schmuckrasseln ein metallisch klirrendes Geräusch von sich. Schhhh, schhhh, schhhh …
Behütete Kindheit
Glapoglappo- Käferflügel waren eine beliebte Tausch- und Handelsware bei den Aparai. Sie wurden fast so hoch gehandelt wie Kalakuli, bares Geld. Aus den dickwandigen Käferflügeln mit dem sanften Wellenmuster wurde der schönste Schmuck gemacht. Die Beinrasseln waren Teil meiner »A ussteuer« gewesen. Meine »A parai-Verwandten« hatten sie mir zum Abschied in einem kunstvoll geflochtenen Korb überreicht. Zwei Dutzend Umzüge hatten sie unbeschadet überstanden, über dreißig Jahre lang. Zu kleinen Türmen gestapelt, sorgfältig in Seidenpapier gehüllt, anschließend in Schuhkartons verpackt. Nun waren sie durch die Neugier einer Fünfjährigen ihrem Versteck entrissen worden.
Meine Tochter war dermaßen in ihr Spiel versunken, dass sie mich nicht einmal bemerkte. Sie tappte mit ihren kleinen Füßen rhythmisch auf den Boden und hatte sichtlich Freude an dem ungewöhnlichen Geräusch, das die Beinrasseln machten. Schhhh, schhhh, schhhh …
Vor meinem inneren Auge erscheinen fünf Tänzer in vollem Ornat. Auf ihren schwarz glänzenden Haaren thront der Kopfschmuck für tapfere Krieger. Lange Arafedern in leuchtendem Rot, Grün, Blau und Gelb. Über den Schultern tragen sie Umhänge aus Lianen, mit mannshohen Stöcken klopfen sie den Takt auf die staubige Erde. Die einfachen Tanzschritte, eine Art Stampfen, jeweils ein Schritt nach links und einer nach rechts, werden von einer monotonen Melodie begleitet: Hummmm, hummmm … Dazu das gleichmäßige Rasseln der Käferflügel: Schhhh, schhhh, schhhh … schhhh, schhhh, schhhh … hummmm, hummmm … Diese Aparai-Musik hat mich immer in Trance versetzt. Mich müde und schläfrig werden lassen, wenn wir die Tänzer beim Üben beobachteten. Diese tiefe Müdigkeit, die sich damals wie eine weiche Decke über mich legte, überfiel mich auch jetzt wieder. Nach so langer Zeit.
Ich weiß nicht, wie lange ich ins Leere starrte, während meine Tochter alles auspackte und ausprobierte, ohne den Hauch eines schlechten Gewissens, als ginge es hier um eine fröhliche Weihnachtsbescherung mit lauter neuen Spielsachen. Selbst als ich mich schließlich durch ein unüberhörbares Räuspern bemerkbar machte, zuckte sie nur kurz zusammen. »O ooohh, du bist ja schon da! Hallo, Mami, guck mal, ich hab diese tollen Sachen hier unten im Schrank gefunden, schön, oder?« Das »s chön« zog sie andächtig in die Länge. Behutsam strichen ihre kleinen Finger über die Beinrasseln, über die glatt geschliffenen Zacken eines Kamms aus Palmholz, über das wellige Relief der Glapoglappo -Käferflügel.
Einerseits rührte mich der Anblick meines Kindes in dieser Aufmachung. Mich beschlich das merkwürdige Gefühl, meinem Spiegelbild aus der Vergangenheit gegenüberzustehen, während gleichzeitig meine Zukunft im Schneidersitz vor mir hockte. Andererseits spürte ich, wie die Quecksilbersäule meines Gefühlsthermometers höher und höher stieg, bis ich buchstäblich kochte. Tränen schossen mir in die Augen, als ich das Ausmaß der Verwüstung genauer taxierte. Das waren meine Schätze! Was, wenn die Dias Kratzer bekamen? Meine sorgsam gehüteten Exponate zu Staub zerfielen? Keiner hatte das Recht, ungefragt in den Erinnerungsstücken meiner
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