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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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Kindheit herumzuwühlen. Einen Moment lang packte mich Verzweiflung, als hätte ihnen die Neugier meiner Tochter den Zauber genommen. So lange hatten sie fest verschlossen in Kisten auf dem Boden meines alten Schrankes geruht. Im letzten Erbstück von meinen Urgroßeltern, einem schlichten großen Biedermeierschrank aus geflammtem Nussholz. Alles, aber auch alles, was mir wichtig erschien, hatte ich in diesem Kleiderschrank deponiert. Sorgfältig verpackt, tief unten versenkt, von etlichen Pullovern bedeckt. Innerhalb von Stunden oder vielleicht nur Minuten war alles entdeckt, herausgerissen und wahllos über die ganze Wohnung verteilt worden. Die Pullover lagen wie kleine Teppichinseln auf dem Parkett verstreut herum. Selbst in der Küche unter dem Tisch fand ich noch einen ausgedienten Mohairpullover, zu dem eine Spur aus rot-schwarzen Anakokó- Samenkapseln führte. Diese Perlen hatten wir damals tagelang geduldig zu Ketten, Arm- und Fußbändern aufgefädelt. Verzweifelt kniete ich mich auf den Boden, um die Kapseln wieder aufzuklauben. Meine Tochter beobachtete mich verunsichert. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, warum ich ihre Begeisterung über die neuen Schätze nicht teilte. Ich brachte keinen Ton heraus, um es ihr zu erklären.

    Aparai in vollem Ornat
     
    Mein Mann hatte von dem ganzen Chaos nichts bemerkt. Er war nicht etwa, wie ich angenommen hatte, beim Bäcker nebenan gewesen, beim Bioladen zum Milchholen oder im Hof beim Fahrradreparieren. Er hatte die ganze Zeit über mit Kopfhörern vor dem Computer im Arbeitszimmer gesessen. Als er nun plötzlich zur Küchentür hereinkam, blickte er erst erstaunt zwischen uns hin und her, dann auf den Boden und wieder zurück. »W as ist denn hier passiert?«, entfuhr es ihm. »I st der Mülleimer umgefallen? Oder feiert ihr gerade Karneval?« Ich konnte nicht anders, ich musste einfach mitlachen.
    Nach dem ersten Schock und einer Tasse Tee erfasste mich eine tiefe innere Ruhe. Sie wärmte mich wie die Sonnenstrahlen, die nachmittags gelegentlich durch das dichte Laub der alten Platanen auf der Straße in unsere Wohnung fielen. Die Lichtpunkte, die dabei über den Boden und die Wände entlangtanzten, erzeugten eine eigentümliche Stimmung. Ich schloss meine Augen und dachte an die verschiedenen Schattierungen der Baumkronen im Urwald, wenn die gleißende Tropensonne durch sie hindurchfiel.
    Vielleicht hatte meine Tochter ja Recht mit dem, was sie tat, vielleicht war es an der Zeit, diese leblosen Devotionalien aus Holz, Baumwolle, Perlen, Knochen und Federn wieder zum Leben zu erwecken. Indem ich ihre Geschichte erzähle – meine Geschichte.
    Noch am selben Abend lösten Erzählungen über meine Kindheit bei den Indianern am Amazonas die Gute-Nacht-Geschichten über schöne Prinzessinnen und mutige Drachentöter ab. Mashipurimo war auf einmal allgegenwärtig. Versunkene Bilder tauchten auf, von Menschen, die mir wichtig gewesen waren, von Erlebnissen, die mich beeindruckt und geprägt hatten. Farben und Gerüche, der Geschmack von geröstetem Affenfleisch, sogar die Geräusche des Urwalds. Intensive Gefühle wie Furcht, Verzweiflung und unbändige Freude – alles war auf einmal wieder da. Die banalsten Situationen reichten in den kommenden Wochen aus, damit im Erinnerungsarchiv in meinem Kopf eine neue Schublade aufgezogen wurde.
    Beim Joggen durch den städtischen Park beobachtete ich eine Schwanenmutter am See, die vorbeieilende Passanten durch bedrohliches Fauchen von ihren Küken fernhalten wollte. Es klang beinahe wie das Fauchen der Warane. Jener bösartig aussehenden Riesenechsen, die in regelmäßigen Abständen unser Dorf überfallen hatten, um Hühner und junge Enten zu reißen, und dabei sämtliche Eier in unserem Geflügelstall zertrampelten. Den ausfließenden Dotter leckten sie anschließend mit ihren schlangenartigen Zungen auf. Selbst die besten Jäger des Stammes schafften es selten, diese Monsterechsen, von denen manche eine Länge von bis zu drei Metern erreichten, mit ihren Pfeilen zu treffen. Auch meine Mutter, eigentlich eine geschickte Jägerin, schoss mit der Flinte immer daneben. Die Warane waren nicht nur blitzschnell, sie waren auch schlau. Bevor sie einen Haken schlugen, um innerhalb von Sekunden im undurchdringlichen Unterholz zu verschwinden, warfen sie noch einen kaltblütigen Blick auf ihr Gegenüber und stießen zum Abschied jenes scharfe Fauchen aus, das uns Kinder in Schockstarre verharren ließ. Diesmal reichte ein

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