Das Mädchen von San Marco (German Edition)
fetten alten Mann verschachern – er hatte eine besondere Vorliebe für die Jungfernhäutchen kleiner Mädchen, der widerliche alte Bock.« Annetta merkte zufrieden, dass es Eufemia vor Entsetzen schüttelte, und fuhr umso genüsslicher fort: »Ich war erst zehn, Femia. Ein kleines Mädchen, jünger als du. Aber alt genug. Ich schwor mir, dass ich nie wieder etwas mit einem Mann zu tun haben würde, nie wieder.«
»Was hast du gemacht?«
»Ha! Ich habe ihn so fest gebissen, dass er ganz sicher nie wieder versucht hat, sich einen jungen culo zu schnappen.« Eufemia bebte vor unterdrücktem Gelächter. »Ich habe zu Kaya einmal gesagt: ›Wenn der Sultan mich je auch nur mit einem Finger anfasst, mache ich mit ihm dasselbe!‹ Madonna! Ich weiß noch, wie wütend sie auf mich war. Eines Tages würde mein loses Mundwerk uns beide umbringen, hat sie geschimpft …« Annetta verstummte.
Eufemia wartete, doch da Annetta nicht weitersprach, gab sie ihr einen sanften Stoß.
»Und deine Freundin?«, lieferte sie das Stichwort. »Was ist mit ihr passiert?
Annetta seufzte leise, dann erwiderte sie mit erstickter Stimme: »Über die will ich nicht reden, verstanden?« Und Eufemia fragte sich, womit sie sie wohl verärgert haben mochte.
Annetta lag so still, dass Eufemia schon glaubte, sie sei wieder eingeschlafen. In Wahrheit starrte die junge Frau mit weit offenen Augen in die Dunkelheit.
Was war aus Kaya geworden? Kein Tag verging, nein, keine Stunde, in der sie sich das nicht mindestens einmal fragte. Sie hätte alles gegeben, was sie besaß, um die Freundin zu retten.
Eine einzelne Träne rollte über Annettas Wange. Nur noch eine Frage war geblieben, auf die sie womöglich nie eine Antwort finden würde: Hatte der Diamant der Valide genügt, um Celia Lamprey zu retten?
Kapitel 10
Annetta und Eufemia lagen immer noch wach nebeneinander, als ein Geräusch sie aufschreckte.
Sie erstarrten und lauschten mit angespannten Sinnen.
»Was war das?«, flüsterte Eufemia schließlich.
»Psst! Ich weiß es nicht.«
»Hör doch! Da ist es wieder.«
Ingendwo vom anderen Ende des Flurs drang ein Geräusch, das wie ein leises Seufzen klang.
»Santa Madonna! Das ist Suor Virginia! Oder gar Suo’ Purificacion! Was werden sie machen, wenn sie mich hier erwischen? Schnell, ich muss ich mich in einer deiner Truhen verstecken.« Eufemia war vor lauter Angst schon halb aus dem Bett, aber Annetta hielt sie zurück und legte den Finger vor die Lippen. Sie bedeutete Eufemia, unter die Decke zu kriechen, schlüpfte aus dem Bett und tappte zur offenen Tür, die in den Flur führte.
Die Kerzen vor der Zellentür waren fast heruntergebrannt und flackerten schwach. Neben der Tür zeichneten sich die Umrisse der Hühnerkörbe ab, von denen ein scharfer Geruch ausging. Wahrscheinlich hatte nur eines der Hühner im Schlaf ein Geräusch von sich gegeben. Annetta wollte gerade in die Zelle zurückhuschen, als sie noch einmal eine Art Seufzen hörte, diesmal jedoch tiefer und einem Stöhnen ähnlich.
Auf nackten Füßen lief Annetta durch den Flur auf das Geräusch zu und spähte dabei rechts und links in die Zellen, in denen die Frauen auf dem Rücken liegend schliefen, die Arme neben sich auf der Matratze ausgestreckt. Auf den strohgefüllten Kopfkissen sah man die kurz geschnittenen Haare. Aus der Zelle der alten Suor Virginia drang ein schwacher Geruch nach saurem Wein, aber abgesehen davon war nichts Ungewöhnliches zu bemerken.
Dennoch konnte Annetta ein vages Gefühl des Unbehagens nicht abschütteln. Vielleicht waren es nur die Nachwirkungen ihres Traums, aber die Stille zwischen den Schlafkammern hatte heute Nacht etwas Befremdliches. Es war zu ruhig, so als hielte das ganze Kloster den Atem an. Die Nonnen schliefen alle in derselben Position – der korrekten Position, so wie es die Regel vorschrieb –, aber niemand verharrte normalerweise die ganze Nacht in dieser Stellung. Heute sahen sie aus wie Marmorgestalten auf Sarkophagen, als hätten sie die ganze Nacht nicht einen Muskel bewegt. Schnarchte Suor Virginia nicht sonst? Sie war berüchtigt dafür, die jüngeren Nonnen rissen ständig Witze darüber, aber heute war aus ihrer Zelle nicht das leiseste Rasseln zu vernehmen. Annetta schlich noch einmal zu ihrer Zellentür zurück und lauschte. Nichts.
Und dann hörte sie es zum dritten Mal. Unverkennbar – erst ein Seufzen, dann ein Stöhnen, dann wieder ein etwas lauteres Seufzen. Und auf einmal begriff Annetta, woher
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