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Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Hickman
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das Geräusch kam – nicht aus einer der Schlafkammern im Flur, sondern aus einer Zelle, die ein Stück abseits lag! Sie war den seltenen Besuchern des Klosters vorbehalten und befand sich auf einem Treppenabsatz über dem Flur. Annetta schlich die Stufen hoch, fand die Zellentür einen Spalt offen und spähte vorsichtig hinein.
    Der Raum war klein und hatte weiße Wände. Fenster gab es nicht, und als Schmuck hing lediglich ein Kruzifix an der Wand. Den meisten Raum nahm ein schmales Rollbett ein. Darauf lag bäuchlings eine Frau, den Kopf in einem unbequemen Winkel auf das Kissen gedrückt. Sie hielt sich Halt suchend rechts und links an den Bettpfosten fest und reckte ihre nackten, bleichen Gesäßbacken in die Luft. Sie war es, die dieses seltsame Wimmern ausstieß.
    Hinter ihr stand ein Mann, von der Taille abwärts nackt. Seine Hüften waren nach vorn geschoben und seine Hände umklammerten die Oberschenkel der Frau so fest, dass das weiche Fleisch zwischen seinen Fingern hervorquoll wie Butter. Da er seitlich zur Tür stand, konnte Annetta den Ausdruck auf seinem Gesicht nur undeutlich erkennen, aber sie begriff, dass es in diesem Moment zehn Männer gebraucht hätte, um ihn von der Frau loszureißen. Während er sich erst langsam und dann immer schneller bewegte, wurde das Gewimmer der Frau lauter. Es war aber kein Schmerzenslaut, sondern ein Stöhnen der Lust. Anfangs hatte der Mann den Kopf gesenkt, als wolle er den nackten Rücken der Frau und seine eigenen Stöße betrachten, doch nach ein paar Sekunden warf er den Kopf plötzlich weit in den Nacken und stieß einen kleinen Schluchzer aus.
    Annetta zog sich in den Schatten auf dem Flur zurück und lehnte den Kopf gegen die Wand. Konnte diese Frau, die hier wie ein Tier kopulierte, wirklich eine der Nonnen sein? Santissima Madonna! Annetta presste die Hand vor den Mund. So etwas! Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Die Szene, deren Zeugin sie gerade geworden war, war natürlich … absolut skandalös. Sie wartete auf das angemessene Gefühl von Entrüstung, aber es kam nicht, und sie stellte fest, dass sie eher neugierig als schockiert war. Annetta, die selbst nicht gern Regeln befolgte, hatte wenig für moralische Entrüstung übrig. Anderes war viel interessanter. Welche der Nonnen war so unerschrocken oder so verzweifelt, dass sie sich vor aller Ohren mit ihrem Liebhaber traf? Das war die Frage – das und wie man sich dieses Wissen zunutze machen konnte. Annetta hatte nicht umsonst vier Jahre als Kammerdienerin der Valide verbracht und gelernt, geheimes Wissen zu ihrem Vorteil zu verwenden.
    Verborgen neben der Tür der kleinen Zelle, vernahm sie jetzt flüsternde Stimmen – die der Frau war kaum zu hören, die des Mannes ein wenig lauter. Sie strengte sich an, die Worte zu verstehen, aber es gelang ihr nicht. Was sie überraschte, war sein beruhigender, fast zärtlicher Tonfall. Dann wurde die Tür plötzlich aufgestoßen, der Mann kam heraus und eilte auf leisen Sohlen die Treppe hinunter.
    Hatte er sie bemerkt? Nein, das war unmöglich. Es war noch dunkel und er hatte nicht wissen können, dass sich jemand auf dem Flur verbarg. Annetta zögerte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Aber im Dormitorium war alles still, nichts regte sich. Herauszufinden, wer die Nonne war, würde kein Problem darstellen – Annetta bezweifelte keine Sekunde lang, dass es ihr mit Leichtigkeit gelingen würde, sie ausfindig zu machen. Aber ihr Liebhaber? Wenn sie eine Chance haben wollte, ihn zu entlarven, musste sie schnell handeln. Annetta huschte hinter ihm her die Treppe hinunter.
    Unten gelangte sie auf einen Korridor und musste sich für eine Richtung entscheiden: zu den Küchen und zum Refektorium oder zu den beiden Besuchsräumen und dem Haupteingang des Klosters. Sie war unschlüssig, bog zuerst in Richtung der beiden Empfangsräume ab und lief weiter über den Hof zum Tor. Das war der Weg, der sich einem Fremden anbot, der von außen ins Kloster wollte. Wenn er die Pförtnerin bestochen hatte, das Tor nachts unverriegelt zu lassen, war es ein Kinderspiel, ins Kloster zu gelangen. Annetta hatte Seitenstechen, als sie den Eingang erreichte, und sah sofort, dass das große, metallbeschlagene Tor mit seinem komplizierten Messingschlössern fest verschlossen und der Riegel vorgelegt war.
    Ohne sich Zeit zum Verschnaufen zu lassen, machte sie kehrt und rannte auf dem Weg, den sie gekommen war, zurück. Sie lief über den Hof, durch einen Durchlass im

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