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Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Hickman
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Rande eines tropfnassen Waldes. An jenem Nachmittag strömte eine ansehnliche Menschenmenge zusammen, um sich die Kunststücke anzuschauen, aber der Anblick von Maryam im vergitterten Käfig schien die Männer wütend zu machen, und sie bemerkte immer wieder, dass der eine oder andere dem Anführer der Truppe Geld anbot. Dieser lehnte jedoch zunächst hartnäckig ab. Der zarte Anflug von Hoffnung, den sich Maryam bei diesem Anblick erlaubte, wurde verstärkt, als Signor Grissani in der Abenddämmerung, viele Stunden früher als sonst, an der Tür des Bärenkäfigs erschien.
    »Was ist los?«
    »Das wirst du schon noch erfahren.« Er nahm den Schlüssel vom Gürtel und schloss den Käfig auf.
    »Haben sie Euch etwas gezahlt, damit Ihr mich gehen lasst?«
    Noch Jahre später fiel es Maryam schwer, keine Tränen des Mitleids ob der Arglosigkeit ihres jüngeren Ichs zu vergießen, wenn sie an diese Szene dachte. Hatte sie wirklich noch nichts über die menschliche Natur gelernt?
    »Dich gehen lassen?« Signor Grissani, der sich plötzlich sehr auf seine Schlüssel konzentrierte, hob nicht den Kopf. Als er endlich aufblickte, machte er ein so trauriges Gesicht, dass sie ihm fast um den Hals gefallen wäre.
    »Sie haben Euch wirklich …? O danke, ich danke Euch, Signore …«
    Maryam hatte so lange von dem Moment ihrer Befreiung geträumt, ihn so sehr herbeigesehnt, dass sie vor Freude keinen klaren Gedanken fassen konnte.
    In diesem Augenblick kam Signor Grissanis Weib, eine Frau mit hartem Blick und dem drahtigen Körper einer Akrobatin, auf sie zugelaufen.
    »Sergio, stimmt das?«, rief sie bestürzt. »Das kannst du nicht tun, Sergio, du darfst nicht zulassen, dass sie sie mitnehmen.«
    »Es wird ihr schon gut gehen«, murmelte Grissani barsch.
    »Was willst du damit sagen? Sie ist vielleicht groß, aber noch jung, kaum älter als ein Kind.«
    Maryam konnte sich immer noch an ihre Verblüffung ob der Gefühlsbewegung in der Stimme der Frau erinnern, dieser Frau, die ihr bis eben noch jede einzelne Brotrinde, jeden einzelnen Löffel Wassersuppe missgönnt hatte.
    »Mir wird es gut gehen, Signora, ganz bestimmt.« Die Frau tat Maryam fast leid. Sie wusste nicht, wie sie allein zurechtkommen sollte, aber sie würde es irgendwie schaffen.
    »Halt die Klappe, du Riesentrottel. Mit dir rede ich nicht.« Die Signora warf ihr einen giftigen Blick zu. »Sergio, bist du wahnsinnig geworden? Hörst du mir überhaupt zu?«, schrie sie ihren Mann an und zog ihn am Ärmel. »Die Hunde werden sie in Stücke reißen …«
    »Aber, Signora –« Die munteren Worte, die in ihr hochgesprudelt waren, verharrten auf Maryams Zunge. »Hunde?«
    Ein Schwindelgefühl überkam sie, als sei das ganze Blut plötzlich aus ihrem Kopf gewichen. Sie umklammerte die Gitterstäbe des Käfigs, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. »Welche Hunde?« , fragte sie leise, aber niemand hörte ihr zu.
    »Sie werden sie in Stücke reißen«, kreischte die Frau, sie schlug jetzt mit geballten Fäusten auf ihren Mann ein. »Und was sollen wir dann machen?«
    Maryam stand vor dem Bärenkäfig und blickte auf die beiden hinab. Sie wusste genau, wie sie aussah: ein erbärmlicher, plumper Koloss in einer verschmutzten Lederjacke und schmierigen Hosen, dem die Rinderhörner schief über den Augen hingen. Dann hatten die Männer, die sie beobachtet hatte, also doch nichts Gutes mit ihr im Sinn. Hinter ihnen sank ein leichter Nebel von den Bergen herab und durchzog die Pinienwälder wie ein Dunst aus einer anderen Welt.
    Maryam wusste in diesem Moment, dass sie sie umbringen würden.
    » Basta! Wir haben keine Wahl, capisce? « Signor Grissani, der sehr blass war, stieß seine Frau so heftig von sich, dass sie zu Boden stürzte. »Und du« – er wandte sich ruckartig zu Maryam um – »kommst mit mir.« In den Händen hielt er einen Stock mit einer scharfen Metallspitze, wie die Bauern ihn zum Viehhüten benutzten.
    »Wohin gehen wir?«, fragte sie angsterfüllt. Aber er antwortete nicht, sondern stieß sie nur mit dem Stock in Richtung Stadt. Sie bemerkte, dass seine Hände zitterten. Warum war sie damals nicht auf der Stelle losgerannt, in der Dunkelheit in den Wald gestürmt, solange sie das noch konnte?
    Warum nicht? Warum nicht?
    Aber all die Jahre der Sklaverei – als Kind, als Frau, als Missgeburt – hatten ihren Tribut gefordert. Eine Flucht war ihr überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Mit hängendem Kopf war sie widerstandslos vor Signor

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