Das Mädchen von San Marco (German Edition)
Maryam, einen von sich fortzuschleudern, aber er spürte wohl, dass die Beute schwächer wurde, und kam zurück, um sie mit erneuerter Heftigkeit von hinten anzuspringen.
Maryams Beine gaben nach. Sie knallte mit den Knien schmerzhaft auf den harten Boden. Das war’s, dachte sie in diesem Augenblick. Jetzt zerreißen sie mich. Es war fast eine Erleichterung. Die johlenden Menschen spürten ebenfalls, dass das Ende nahe war, doch Maryams Herz hämmerte so stark, dass sie ihr Geschrei nur schwach vernahm. Auch die Gesichter sah sie nur noch verschwommen, diese Augen voller Hass, die Haut, die straff über den ausgezehrten Wangen spannte, die weit aufgerissenen, wild spuckenden Münder, die schwarzen Zahnstümpfe.
Maryams Glieder fühlten sich jetzt so schwer an, als gehörten sie nicht mehr zu ihr. Es kostete sie Mühe, sie überhaupt noch zu bewegen. Aber irgendwie musste es ihr gelungen sein, einem der beiden Hunde einen Schlag zu versetzen, da er hinkend davonschlich und versuchte, eine seiner Pfoten zu lecken.
Nur noch ein Hund war übrig, der größte und wildeste der drei. In einem letzten aussichtslosen Versuch, sich zu retten, bemühte sich Maryam, wieder auf die Beine zu kommen, aber sie war zu langsam, zu schwerfällig. Der Hund sprang sie an. Wie ein gefällter Baumstamm stürzte Maryam zu Boden und blieb nach Atem ringend liegen, die Arme schützend über dem Kopf verschränkt. Sie nahm keine Schmerzen mehr wahr, nur das Knurren des Tieres, mit dem es sich seiner Beute näherte, den faulig-warmen Geruch seines Atems und den metallischen Geschmack ihres Blutes auf den Lippen.
Und dann spürte sie es. Etwas Hartes und Kaltes unter der Wange. Das Messer. Die Kiefer des Hundes lagen um einen ihrer Unterarme, aber sie konnte den anderen Arm befreien. Ihre Finger schlossen sich um den Griff, und mit allerletzter Kraft stieß sie die Klinge nach oben, blindlings in Richtung des Hundes.
Auf einmal war es still. Sie fühlte, wie der Hund taumelte und dann fast geräuschlos gegen ihre Schulter fiel, wo er mit zuckendem Körper liegen blieb, das Messer noch in der Luftröhre.
Kapitel 21
Bei der nächsten Lagerstelle passierte es wieder. Sie hatten ihre Zelte wie gewöhnlich am Rande eines Olivenhains aufgeschlagen, nicht weit entfernt von einer Kleinstadt an der Meeresküste.
Diesmal war es Ilkais Schwester Yoanna, die die Essensgaben fand. Sie war in der Dämmerung aufgestanden und beinahe darüber gestolpert: Obst, kleine Laibe ungesäuerten Brotes, fünf frische Eier und ein Tonkrug voller Olivenöl. Yoanna lief sofort zu Maryam und erzählte es ihr.
Die Gaben lagen, wie schon beim letzten Mal, hübsch angeordnet auf einem Bett aus frisch gepflückten Blättern.
Maryam gefiel das nicht. Irgendjemand musste sich noch in der Dunkelheit den kleinen Pfad, der zu ihrem Lager führte, hinaufgestohlen haben. Irgendjemand musste sich ganz in der Nähe herumgetrieben haben, während sie schliefen. Die Tatsache, dass Fremde sich so einfach heranschleichen konnten, ohne dass es einer von ihnen auffiel, beunruhigte Maryam.
Aber Yoanna und Ilkai waren hocherfreut über die Gaben. Sie rannten los, um die anderen zu holen, die schläfrig aus ihren Zelten krochen, dann aber lautstark miteinander diskutierten, wie sie das Essen aufteilen sollten. Nur Elena, die das Geschehen aus dem Schatten ihres Zeltes beobachtete, erriet, was in Maryam vorging.
Sie nahm den Brotlaib, der ihren Anteil darstellte, besprenkelte ihn mit Öl aus dem Tonkrug und setzte sich neben Maryam unter einen Baum. Es war noch früh am Morgen, und im Halbschatten des uralten Olivenhains war die Luft erfrischend kühl. In der kleinen Stadt in der Senke vor ihnen krähte ein Hahn, und zwischen den weiß getünchten Häusern schimmerte das Meer.
»Du machst dir Sorgen, Maryam«, sagte Elena behutsam. »War es wieder der Traum? Ich habe dich mitten in der Nacht schreien gehört.«
Als Maryam nicht antwortete, brach sie den kleinen Laib in der Mitte durch und reichte ihrer Freundin schweigend eine Hälfte und dazu eine Handvoll Oliven. Kauend vertiefte sie sich in den Ausblick. Das strahlende Blau des Meeres, das Weiß der Häuser und der flirrende Staub auf der Straße taten ihr beinahe in den Augen weh. Aus der Ferne, vom anderen Ende der Stadt, klang das Gebimmel einer Ziegenherde, die auf die Weide geführt wurde, während draußen auf dem Meer am Horizont ein kleines Boot erschien, mit weißen Segeln, die sich im Wind blähten.
Elena versuchte
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