Das Mädchen von San Marco (German Edition)
Grissani hergeschlurft.
Sie hatte die Stadt durchquert wie auf einem Schinderkarren, so betäubt vor Angst, dass sie kaum begriff, wohin sie ging. Die Frauen standen in den Türen ihrer Häuser und beobachteten sie schweigend und schraken zusammen, wenn sie ihren großen, schwerfälligen Kopf, auf dem immer noch die Kuhhörner saßen, in ihre Richtung drehte. Sie zogen ihre Kinder zu sich heran, als wäre Maryam ein bissiger Hund. Glauben sie wirklich, dass ich eine Art Bestie bin? An ihren Gesichtern konnte sie ablesen, dass dem so war. Sie war das Ungeheuer, das ihre Schafe auffraß und ihre Kinder raubte. Sie war das Wesen, das im dunklen Herzen ihrer tiefsten Wälder lebte, das sich auf den unwirtlichsten Gipfeln verbarg, das in Höhlen voller Knochen hauste. Sie war das Monster, von dem ihre Großväter in dunklen Winternächten am Feuer erzählt hatten und das außer in Träumen nie gesichtet wurde.
Als sie die Bärengrube erreichten, war es fast dunkel. Rings um den Rand verlief eine Palisade aus angespitzten Pflöcken, und die Männer warteten mit verschlossenen, harten Gesichtern. Von irgendwoher hörte sie Hunde, die wütend knurrten.
Signor Grissani versetzte dem verängstigten Mädchen einen Stoß.
»Es wird schon klappen«, sagte er schroff.
Die Männer, die gekommen waren, um sie in Empfang zu nehmen, stolzierten herbei. Maryam drehte sich zu ihrem bisherigen Besitzer um und warf ihm einen flehentlichen Blick zu, doch es half nichts. Plötzlich herrschte ein lärmendes Durcheinander, eine wüste Mischung aus bellenden Hunden und schreienden Männern. Da spürte Maryam im Gedränge der Körper, wie eine Hand ihr etwas Kaltes und Hartes zuschob. Ein Messer.
Und bevor sie wusste, wie ihr geschah, fand sie sich in der Grube wieder und sie hatten die Hunde auf sie gehetzt. Es waren drei. Der vorderste ging direkt auf sie los. Er war zwar nicht groß, aber er war schwer und kräftig gebaut und gehörte zu einer Rasse, die zum Kämpfen ausgebildet wurde. Durch einen Schleier der Angst sah sie ihn zwei oder drei Fuß in die Höhe springen und nach ihrer Kehle schnappen, aber sie war so groß, dass er nicht an ihren Oberkörper herankam. Maryam hob den Arm, um sich zu verteidigen, und spürte, wie sich die Zähne des Tieres in ihr Fleisch gruben, aber sie schlug es mit einer solchen Kraft weg, dass es erst einmal von ihr abließ und jaulend auf der anderen Seite der Grube zu Boden fiel.
Noch bevor sie Atem schöpfen konnte, stürzten sich auch die beiden anderen Hunde auf sie. Maryam versuchte, sie mit den Fäusten abzuwehren, so wie sie es bei dem ersten Hund gemacht hatte, aber dieses Mal taumelte sie durch das schiere Gewicht des gemeinsamen Ansturms nach hinten, und sie ließ das Messer fallen. Noch bevor sie es wieder aufheben konnte, warf sich der erste Hund erneut auf sie. Er sprang nicht an ihr hoch, sondern ging auf ihre Beine los und schnappte knurrend nach ihren Knöcheln. Die ganze Zeit über nahm Maryam das Gejohle und Geschrei der Männer vom Rand der Grube wahr, während sie hin und her sprang und versuchte, das Tier wegzutreten, froh darüber, dass wenigstens ihre Unterschenkel durch die schweren Lederstiefel geschützt waren.
Ein brennender Schmerz in einer Gesäßbacke und dann auch im Oberschenkel sagte ihr, dass die anderen beiden Hunde sie von hinten angegriffen hatten. Sie wirbelte herum, aber die Tiere hatten sich in ihr Fleisch verbissen. Sie ließen auch nicht los, als sie mit den Fäusten nach ihnen schlug, denn der Winkel war zu ungünstig, als dass ihre Schläge wirkungsvoll gewesen wären. Deshalb versuchte sie, einer Eingebung folgend, auf die Schwachstellen des ersten Hundes zu zielen, seine Ohren und Augen. Der Daumen fand schließlich etwas Weiches, und sie drückte, so fest sie konnte, und als sie das seltsame Gefühl hatte, als platze eine hartschalige Traube, wusste sie, dass sie getroffen hatte. Laut aufjaulend stürzte das Tier vor ihr zu Boden und kroch winselnd zu der Barrikade, während Blut aus einem Auge strömte.
Jetzt waren es nur noch zwei Hunde, aber Maryam spürte die Erschöpfung. Die fast übermenschliche Kraft, die sie beim Betreten der Grube durchflutet hatte, begann abzuebben. Von ihrem Gesäß und dem Oberschenkel floss reichlich Blut, und es tropfte jetzt auch aus den Wunden am Arm. Die Hunde warfen sich in wilder Raserei auf sie. Als sie die Arme hob, um sich zu verteidigen, rissen sie ihr mit den Zähnen das Fleisch auf. Ächzend gelang es
Weitere Kostenlose Bücher