Das Mädchen von San Marco (German Edition)
entblößte beim Lächeln seine schlechten Zähne. »Und könnt Ihr mir sagen, wie Ihr hierhergefunden habt?«
Die kleine Nonne in ihrer schäbigen Mietgondel wirkte fröhlich wie jemand, der unerwartet einen freien Tag genießt.
»Prospero Mendoza, Signore. Er hat mir ausrichten lassen, dass ich herkommen soll.«
»Prospero Mendoza?« Ambrose ließ erstaunt das Taschentuch sinken. »Der Edelsteinhändler aus dem Ghetto?«
»Ja. Ist er ein Freund von Euch? Er hat mir gesagt, dass ich höchstwahrscheinlich den ausländischen Herrn hier finde.«
Eufemia, die wie gebannt auf Ambroses gewaltige Nase starrte, brauchte einen Augenblick, um sich zu fassen. Da sie an seiner stockenden Redeweise erkannt hatte, dass er ihre Muttersprache nicht gut beherrschte, kam ihr eine Idee. »Ihr seid doch ein ausländischer Herr, oder?«
»Das ist richtig, Schwester … äh, Femia … Ich kann Euch vielleicht helfen, wenn Ihr erlaubt.« Ambrose lächelte sie wie ein freundlicher Onkel an. »Ihr habt Glück, muss ich sagen. Ich kenne jeden hier in diesem Viertel. Darf ich mich erdreisten, nach dem Namen des Herrn zu fragen, den Ihr treffen sollt?«
Als er ihre Antwort hörte, warf er theatralisch die Hände in die Höhe.
»Gelobt sei Gott!«, rief er aus, »Ihr habt einen unfehlbaren Instinkt!« Geschmeichelt gratulierte sich Eufemia stumm zu ihrem Scharfsinn. Offenbar war diese Begegnung kein Zufall, sondern ausschließlich ihrer Intelligenz zu verdanken. »John Carew! Ist das zu glauben? John Carew ist mein spezieller Freund. Ein überaus faszinierender Mann.« Ambrose klopfte auf den Sitz neben sich. »Wenn Ihr herkommt und Euch für einen Augenblick zu mir setzt, könnt Ihr mir erklären, worum es überhaupt geht.« Er warf einen flüchtigen Blick zu Constanzas Fenster hinauf, aber zu seiner Beruhigung waren die leinenen Sonnenblenden noch geschlossen.
»O nein, Signore, das geht nicht!« Eufemia schüttelte entschieden den Kopf.
»Seid nicht albern, mein Kind, warum denn nicht?« Ambrose versuchte, sich seine Gereiztheit nicht anmerken zu lassen.
»Ich soll dem Herrn eine Nachricht von der suora überbringen und anschließend gleich wieder nach Hause kommen. Das heißt, ihm die Nachricht geben und den Brief zeigen, den ihre englische Freundin an ihren Kaufmann in Konstantinopel geschrieben hat.« Sie klopfte auf etwas, das in den Falten ihrer Klostertracht verborgen war. Dabei wirkte sie nervös wie jemand, dem man einen kostbaren Gegenstand anvertraut hat und der eine Todesangst davor hat, ihn zu verlieren. »Dann wird er wissen, dass sie es wirklich ist.«
Ambroses Gesicht, das bereits von der starken Nachmittagshitze gerötet war, überzog sich mit einem noch leuchtenderen Scharlachrot. Ihm schien etwas auf der Zunge zu liegen, aber er besann sich eines Besseren und schwieg. Für einen Moment sah er aus wie ein Ballon, aus dem die Luft entweicht, und als er das Wort ergriff, tat er das mit vollkommen gleichmütiger Miene.
»Ach so, es geht um das Rendezvous eines Liebespärchens. Natürlich, ich verstehe. Nun, wie Ihr meint.« Scheinbar gelangweilt tauchte er einen Finger in das stinkende Kanalwasser. »Und was für ein braves Mädchen Ihr seid. Ich wünschte nur, meine Diener wären ebenso umsichtig.« Mit der anderen Hand griff er nach einem Fächer und begann, sich Luft zuzufächeln. »Ein Schäferstündchen, wie banal. Falls es das ist.« Er blickte verschmitzt in ihre Richtung. »Nun, um Euretwillen hoffe ich, dass es das ist und nichts Wichtigeres. Wenn ich daran denke, dass ich ihm hätte helfen können. Poverino! Armer John!« Laut aufseufzend beschäftigte sich Ambrose demonstrativ mit den Sammelboxen zu seinen Füßen. »Nun, ich muss mich auf den Weg machen.«
»Wieso poverino? «
»Oh, er ist fort. Davongesegelt. Disaparu. All dieses Gerede von der Pest, wisst Ihr«, murmelte Ambrose undeutlich mit gesenktem Kopf, während er sich weiterhin am Boden der Gondel zu schaffen machte. »Ich habe ihm gesagt, dass es das Beste ist.«
»Was, er hat die Stadt verlassen?«, sagte Eufemia niedergeschlagen. »Dann kennt Ihr ihn also wirklich, diesen ausländischen Herrn?«
»Sicherlich.« Ambrose setzte sich auf, das Gesicht rot vor Anstrengung. »Ich glaube zwar nicht, dass das Handelsschiff schon fort ist.« Seine großen blassen Augen blickten sie traurig an. »Aber für Euch ist es zu spät, fürchte ich, liebe … äh, Femia. Es sei denn, Ihr hättet jemanden wie mich, der Euch hilft.«
»Zu spät?
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