Das Mädchen von San Marco (German Edition)
alte Mann fort: »Diesmal hatte er jemand anderen mitgebracht. Einen Herrn aus Venedig. Keine Manieren, aber das war ja zu erwarten. Und schmuddelig dazu. Er hat gesagt, es sei ein Freund aus alten Zeiten, aber mir hat er nicht gefallen. Er nahm alle Edelsteine des Kaufmanns mit und sagte, dass er sie jetzt aufbewahren werde.« Prospero sah Carew betrübt von der Seite an. »Warum, Engländer? Euer Herr wollte es mir nicht sagen. Worum geht es eigentlich?«
»Schmuddelig, sagt Ihr?« Carew verzog das Gesicht. »Das muss Francesco gewesen sein.«
»Ja, richtig. Francesco. Jetzt erinnere ich mich wieder an den Namen.«
»Nun, in diesem Fall wundert es mich nicht, dass er Euch nichts erzählt hat, denn Ihr habt die beiden zum letzten Mal gesehen«, brummte Carew. »Habt Ihr nichts davon gehört? Euer schwachsinniger Kaufmannfreund wird an Zuanne Memmos Spiel teilnehmen.«
»Ah!« Prospero strich sich den Bart, als sei nun alles klar. Mit neu erwachtem Interesse wandte er sich Carew zu.
»Demnach habt Ihr den Diamanten gesehen?« Prospero rannte fast, um mit Carew Schritt zu halten, der mit langen Schritten vor ihm hereilte.
»Der Diamant? O ja, ich habe ihn gesehen«, stieß Carew wütend hervor. »Verflucht sei der Tag, an dem auch Pindar ihn zu Gesicht bekommen hat!«
»Dann ist er dem Spielwahn verfallen?«, fragte Prospero traurig.
»Ja«, bestätigte Carew, »das kann man wohl so sagen.«
Rialto-Brücke und Markt lagen inzwischen weit hinter ihnen, und ihr Weg führte die beiden Männer nun über eine Reihe kleinerer Kanäle und Gassen in eine der ärmeren Gegenden der Stadt. Die Menge lichtete sich und die Gassen wurden immer enger und leerer, bis sie beinahe verlassen wirkten. Blasser, rosafarbener und roter Verputz blätterte von den Fassaden, Frauen unterhielten sich laut in den oberen Stockwerken von Haus zu Haus und hängten ihre Wäsche aus den Fenstern zum Trocknen auf. Eine Schar halbnackter, zerlumpter Kinder spielte im Staub. Aus einem Hauseingang trat eine Frau mit den karmesinrot gefärbten Wangen und absurd hohen Trippen einer gewöhnlichen Kurtisane. Als die Kinder sie sahen, hob eines von ihnen einen Stein auf und warf ihn nach ihr. »Puttana, puttana« , kreischten sie mit ihren hohen Stimmen. Der Stein verfehlte die Frau, aber er streifte dafür Prosperos Schulter. Mit gesenktem Kopf eilte dieser weiter, doch die Kinder hatten ihn schon bemerkt und riefen: »Ebreo, Ebreo« , während sie wie boshafte kleine Zwerge um ihn herumtanzten, bis Carew sie verscheuchte.
»Ach, übrigens, hat sie Euch gefunden?«, fragte Prospero, als sie wieder allein waren.
»Wer soll mich gefunden haben?«
»Diese kleine monarche, die heute Vormittag in meine Werkstatt kam.«
»Eine monarche? Eine Nonne?« Carew blieb wie angewurzelt stehen. Er fühlte sich, als hätte er einen Schlag in die Magengrube bekommen. »Welche Nonne?«
»Ich weiß wirklich nicht, warum sie geglaubt hat, ich wüsste, wie man Euch findet. Ich sagte, sie solle es im Haus von Constanza Fabia versuchen …«
»Aber ich komme gerade von dort und habe keine Nonne gesehen.« Carew packte Prospero an beiden Armen und schüttelte ihn. War es möglich, war es tatsächlich möglich, dass Annetta auf der Suche nach ihm war? »Wie hat sie ausgesehen?«
»Wie hat sie ausgesehen?«, äffte Prospero ihn nach. »Wie sie alle aussehen! Schwarzes Gewand, schwarzer Schleier. Wie eine Nonne hat sie ausgesehen, Dummkopf!«
»Hört zu, alter Mann, das kriegt Ihr besser hin.« Carew schüttelte ihn noch einmal so kräftig, dass er ihn fast in die Luft hob. »Alt? Jung? Dunkel? Blond?«
Er sah Annettas Gesicht vor sich und ihm wurde bewusst, dass er seit ihrer letzten Begegnung unablässig an sie gedacht hatte. Constanzas Worte fielen ihm ein: Ich bedauere das arme Mädchen, das sich in Euch verliebt, Carew.
»Hatte sie hier einen Schönheitsfleck?«, fragte er und deutete auf seine Wange.
»Was für ein Unsinn, eine monarche mit einem Schönheitsfleck!«, erwiderte Prospero sarkastisch. »Es reicht jetzt, ich habe genug gehört. Kein Wunder, dass Ihr nur ein Ohr habt.« Er versuchte, sich aus Carews Griff herauszuwinden. »Und wollt Ihr wohl Eure Hände von mir nehmen, junger Mann.«
»Nein, es ist nicht so, wie Ihr denkt. So ist es ganz und gar nicht.« Carew ließ die Hände sinken. »Verzeiht, Prospero. Aber was hat sie gewollt?«
»Woher soll ich das wissen?« Verärgert rieb sich Prospero die Oberarme. »Sie mochte es mir nicht sagen. Sie
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