Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Maedchengrab

Das Maedchengrab

Titel: Das Maedchengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadja Quint
Vom Netzwerk:
richtig verstanden? Lisbeth hatte ein Kind abgehen lassen?! Kurz vor ihrer Ermordung?!
    Sie versuchte, sich den Frauen zu nähern, und trat einen kleinen Schritt nach hinten, doch in diesem Moment verabschiedeten die beiden sich. Offenbar war ihnen entgangen, dass Fine mitgehört hatte.
    Nun kreisten ihre Gedanken noch mehr. Sollte das alles stimmen, warum hatten weder Ulla noch Gerd davon erzählt, als sie über Lisbeths Tod gesprochen hatten? Zumindest Gerd hätte es doch wissen müssen, denn Lisbeths Leichnam war ja von Ärzten untersucht worden. Und so gut kannte Fine sich in diesen Dingen aus: Ob eine Frau schon einmal ein Kind unter ihrem Herzen getragen hatte, das konnte man bei einer Untersuchung feststellen.
    Wieder sah sie hinüber zu Gerd, der noch immer in die Unterredung vertieft war. Konnte sie ihm noch glauben?
    Nein!, entschied Fine. Sie würde sich Gerd nicht anvertrauen. Jedenfalls noch nicht heute. Stattdessen ging sie zum Oberlandbauern und bat darum, erst später auf seinen Hof zurückkehren zu dürfen. Sie wollte sich nach der Messe noch ein wenig sammeln. Er erlaubte es gern.
    Also stellte Fine sich nah an die Kirchenmauer, faltete ihr Hände, ließ die Arme sinken und blickte zu Boden. Es sah aus, als ob sie noch einmal betete, doch von Zeit zu Zeit hob sie den Kopf. Schon bald konnte sie beobachten, wie der Ravenzacher mit einigen weiteren Männern aufbrach. Es sprach alles dafür, dass sie zum Pitterwirt wollten, um dort den sonntäglichen Frühschoppen zu begehen. Die Ravenzacherin hingegen schlug den Weg zu ihrem Haus ein.
    In diesem Moment wusste Fine, was zu tun war. Sie verbrachte noch einige Minuten bei der Kirche, bedankte sich beim Vikar für die erbauliche Predigt und folgte dann dem Weg der Ravenzacherin. Sechs Jahre lang war sie Bastis Quartiersmutter gewesen, und in dieser Zeit hatte Fine das geräumige Fachwerkhaus nah bei der Dorfmitte oft betreten.
    Kurz darauf klopfte Fine erneut bei der Frau an, die in ihrer direkten Art manchmal die Menschen vor den Kopf stieß, aber ihr Herz auf dem rechten Fleck trug.
    Dass Fine sie besuchen kam, schien die Ravenzacherin nicht zu wundern. »Sicher möchtest du mit mir über Basti sprechen«, freundlich ließ sie das Mädchen eintreten. »Und ich sage dir gleich: Er sitzt ganz zu Unrecht in seiner Zelle, denn er war immer ein guter Junge. Und selbst wenn euer Onkel ein schlechter Mensch ist, so wird es ihm wohl kaum gelungen sein, in wenigen Wochen aus meinem Basti einen Mörder zu machen.«
    Fine stimmte entschieden zu, dann zögerte sie. Die Ravenzacherin nickte ihr aufmunternd zu. Schließlich brachte Fine hervor: »Ich wollte gewiss nicht lauschen, Tante. Aber durch Zufall habe ich mit angehört, was Ihr mit Eurer Schwägerin besprochen habt. Lisbeth trug also eine Leibesfrucht? Und hat sie abgehen lassen?«
    Nun schwieg die Ravenzacherin. Gewiss hatte sie nicht damit gerechnet, dass ein junges Mädchen etwas derart Heikles ansprechen würde.
    Fine beeilte sich zu sagen: »Wir können frei darüber reden. Marjann hat mich über diese Dinge aufgeklärt, weil ich sie wissen muss als junge Frau.«
    Noch immer zeigte sich die Ravenzacherin gehemmt, doch sie meinte: »Wenn du es sowieso gehört hast, will ich es dir erklären. Denn du bist für dein Alter sehr verständig, und dein Bruder ist unbescholten in Haft. Da darf ich wohl nicht schweigen.« Sie führte Fine in die Küche und schenkte Malzbier ein. »Ich weiß es von der Lohbäuerin, bei der Lisbeth damals Jungmagd war. Als sie von Hannes schwanger wurde, zählten beide erst fünfzehn Lenze und wollten kein Kind. Darum gab er ihr einen starken Sud von Gottesgnadenkraut. Das Kind löste sich aus Lisbeths Leib, und sie blieb ohne Schaden. Danach hätte alles gut sein können, denn Hannes liebte sie von Herzen und versprach, sie später zu heiraten. Aber sie wollte ihn nicht mehr. Alles war ihr zu viel, und sie verstieß ihn. Er hat darunter furchtbar gelitten.«
    »Und deswegen hat er sie umgebracht?«
    »Jedenfalls glaubt das wohl jeder im Dorf: Hannes hat Lisbeth aus verschmähter Liebe getötet und ist nach Amerika gegangen.«
    »Aber gewiss ist das alles nicht?«
    »Nein, Kind.« Die Ravenzacherin setzte ihren Becher ab und sah Fine lange an. »Genaues wissen wir nicht. Und die Köhlgretel hält den Ruf ihrer Tochter rein. Sie behauptet, dass Lisbeth schwanger gewesen sei und abgetrieben habe, seien nichts als böse Lügen.«
    Fine schwieg. Nach einigem Nachdenken meinte sie:

Weitere Kostenlose Bücher