Das Magdalena-Evangelium: Roman
Menschen, und viele von uns sind hochintelligentund gebildet, aber gleichzeitig zutiefst unserem Glauben verbunden. Jeder kann seine eigenen Schlüsse ziehen.
Übrigens ist genau dieses Thema – Maria Magdalena und die Genauigkeit der vier Evangelien – ausführlich unter Geistlichen diskutiert worden. Die männlichen Apostel müssen es doch ein wenig beschämend gefunden haben, dass Jesus seine ganze Mission dieser Frau anvertraute, auch wenn sie eine tragende Rolle in seinem Leben oder seiner Botschaft spielte. Immerhin lebte sie zu einer Zeit, in der Frauen nicht als gleichberechtigt angesehen wurden. Die Evangelisten waren demnach gezwungen, es zu schreiben, weil es die Wahrheit war, gleichgültig, wie peinlich es ihnen war. Denn mochten sie auch die anderen Fakten verdreht haben, das wichtigste Element von Jesu Auferstehung hätten sie niemals geändert – dass er zuerst Maria Magdalena erschienen ist. Er erscheint nicht den männlichen Aposteln, er erscheint ihr . Also glaube ich, dass die Verfasser der Evangelien keine andere Wahl hatten, als dies zu schreiben, weil es einfach die Wahrheit ist.«
Tammys Bewunderung für Peter wuchs, es war ihr am Gesicht abzulesen. »Du bist also bereit, die Möglichkeit zu untersuchen, dass Maria Magdalena die wichtigste Anhängerin von Jesus gewesen ist? Oder vielleicht sogar mehr als das?«
Peter schaute Tammy an; er war sehr ernst geworden. »Ich bin bereit, alles zu erforschen, was uns einem ehrlichen Verständnis von Jesus Christus, unserem Herrn und Erlöser, näher bringt.«
Für Maureen war es ein wichtiger Abend. Peter war ihr Vertrauter, ihr Ratgeber, doch auch ihre Bewunderung für Sinclair war gewachsen, sie hielt ihn für einen faszinierenden Menschen. Und dass ihr Cousin in der Diskussion mit dem exzentrischen Schotten eine gemeinsame Basis fand, war für Maureen einegroße Erleichterung. Vielleicht konnten sie nun alle zusammen darangehen, ihre seltsamen Visionen zu erforschen.
Am Schluss des Mahls erklärte Peter, der den ganzen Tag lang die Gegend erkundet hatte, dass er müde sei und sich zurückziehen wolle. Tammy behauptete, sie müsse noch am Skript ihres Dokumentarfilms arbeiten, und zog sich ebenfalls zurück. So blieben Maureen und Sinclair allein. Von Wein und Gespräch ermutigt, rang sie sich zu einem Entschluss durch.
»Ich finde, Sie sollten jetzt Ihr Versprechen einlösen, mahnte sie ihn.
»Welches Versprechen, meine Liebe?«
»Ich möchte den Brief meines Vaters sehen.«
Sinclair schien einen Moment darüber nachdenken zu müssen. Nach kurzem Zögern willigte er jedoch ein. »Nun gut. Kommen Sie mit.«
Sinclair führte Maureen durch einen gewundenen Korridor zu einem verschlossenen Zimmer. Er zog einen großen Schlüssel aus der Tasche, sperrte auf und winkte sie in sein Arbeitszimmer. Beim Eintreten drückte er rechts auf den Lichtschalter, und ein riesiges Gemälde an der gegenüberliegenden Wand wurde angestrahlt.
Maureen schnappte nach Luft, dann stieß sie einen Freudenschrei aus. »Das ist ja Cowper! Mein Bild!«
Sinclair lachte. »›Lucrezia Borgia regiert im Vatikan in Abwesenheit von Papst Alexander VI .‹. Ich muss gestehen, ich habe es nach der Lektüre Ihres Buches erworben. Ich musste gehörig feilschen, bis die Tate es mir verkauft hat, aber wenn ich etwas haben will, kann ich sehr entschlossen sein.«
Ehrfürchtig ging Maureen auf das Gemälde zu; sie bewunderte die Kunstfertigkeit und die Farben, die sein Schöpfer, Frank Cadogan Cowper, im neunzehnten Jahrhundert verwendet hatte.Es zeigte Lucrezia Borgia auf dem Heiligen Stuhl im Vatikan, umgeben von einem Heer roter Kardinalsroben. Maureen hatte das Bild bereits in seinem früheren Zuhause, der Tate Gallery in London, gesehen. Und es hatte wie ein Blitz eingeschlagen. Plötzlich hatte dieses Bild für sie eine jahrhundertelange Kette von vernichtenden Urteilen illustriert, die man über die Papsttochter gefällt hatte. Sie war mit allen erdenklichen Schimpfnamen belegt worden – Mörderin und ehebrecherische Hure waren nur zwei davon.
Lucrezia Borgia war von den männlichen Historikern des Mittelalters bestraft worden, weil sie die Kühnheit besessen hatte, auf Petrus’ geheiligtem Thron zu sitzen und während der Abwesenheit ihres Vaters päpstliche Befehle zu erteilen.
»Lucrezia war eine treibende Kraft hinter meinem Buch. Ihre Geschichte stand für das typische Motiv, dass eine Frau verunglimpft und ihrer wahren Macht in der Geschichte entkleidet
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