Das Magdalena-Evangelium: Roman
inspiriert. Und wer auch immer den Beschluss fasste, die Evangelien auf dem Konzil von Nicäa festzulegen, muss ebenfalls unter göttlicher Eingebung gestanden haben. Und so weiter und so weiter. Es ist eine Frage des Glaubens, nicht der Geschichte. Und man kann auch nicht darüber streiten. Glaube ist etwas, das sich nicht diskutieren lässt.«
Schweigen folgte auf seine Worte. Alle warteten, dass Peter fortfahren würde.
»Glauben Sie etwa«, sagte er schließlich, »ich kenne die Geschichte meiner eigenen Kirche nicht? Ich kenne sie sehr wohl, und deshalb kränken mich Maureens Recherchen und Ihre Ansichten keineswegs. Übrigens, wussten Sie schon, dass einige Gelehrte sogar glauben, das Lukasevangelium sei von einer Frau geschrieben worden?«
Nun war es an Sinclair, überrascht zu wirken. »Wirklich?Davon hatte ich noch nichts gehört. Und diese Vorstellung stört Sie nicht?«
»Überhaupt nicht«, gab Peter zurück. »Die Bedeutung der Frauen im Frühchristentum und noch Jahrhunderte später ist etwas, das wir nicht leugnen können. Warum sollten wir auch, wenn wir an bedeutende Frauen wie Klara von Assisi denken, die nach Franziskus’ frühem Tod die Franziskanerbewegung zusammenhielt.«
Er bemerkte Sinclairs und Tammys verblüffte Mienen. »Tut mir leid, einen tollen Streit im Keim zu ersticken, aber auch ich bin der Meinung, dass Maria Magdalena den Titel ›Apostel aller Apostel‹ durchaus verdient.«
»Sie?«, fragte Tammy ungläubig.
»Aber ja. In der Apostelgeschichte bestimmt Lukas dezidiert die Voraussetzungen, die man erfüllen muss, um als Apostel zu gelten: Man muss zu Jesu Lebzeiten einer seiner Jünger gewesen sein; man muss Zeuge der Kreuzigung und der Auferstehung gewesen sein. Und wenn man es ganz genau nimmt, gibt es nur einen Menschen, der sämtliche Anforderungen erfüllt – Maria Magdalena. Die männlichen Apostel waren bei der Kreuzigung nicht dabei, was ja eigentlich ein bisschen peinlich ist. Außerdem war Maria Magdalena die Erste, der Jesus nach der Auferstehung erschienen ist.«
Maureen musste sich mit aller Macht zurückhalten, um nicht über Sinclairs und Tammys verdutzte Gesichter in Lachen auszubrechen. Die beiden wirkten sichtlich benommen durch diese Demonstration von Peters Intellekt und Persönlichkeit.
Peter fuhr fort: »Möglicherweise sind die einzigen Personen, die der Beschreibung wahrer Apostel entsprechen, die anderen Marien: die Jungfrau Maria sowie Maria Salome, denn von beiden wird berichtet, dass sie sowohl bei der Kreuzigung als auch bei der Auferstehung dabei waren.«
Als Peter Maureens Blick begegnete, konnte sie sich nicht länger beherrschen. Laut schallte ihr Lachen durch den Raum.
»Was ist?«, fragte Peter spitzbübisch.
»Entschuldigung«, sagte Maureen und nahm rasch einen Schluck Wein, um den Moment zu überspielen. »Es ist nur – also, Peter liebt es, die Leute zu überraschen, und ich finde das immer so amüsant zu beobachten.«
Sinclair nickte. »Ich muss einräumen, Sie entsprechen überhaupt nicht der Vorstellung, die ich mir von Ihnen gemacht hatte, Father Healy.«
»Und was hatten Sie sich vorgestellt, Lord Sinclair?«
»Nun, ich bitte es zu entschuldigen, aber ich hatte wohl eine Art römischen Wachhund erwartet. Jemand, der von Dogma und Doktrin durchtränkt ist.«
Peter lachte. »Aber Lord Sinclair, Sie haben etwas sehr Wichtiges vergessen. Ich bin nicht nur Priester, sondern auch Jesuit. Und dazu noch ein irischer Jesuit.«
» Touché , Father Healy.« Sinclair prostete Peter zu.
Dessen Orden, die Gesellschaft Jesu, besser bekannt als die Jesuiten, konzentrierte sich auf Bildung und Wissenschaft. Auch wenn er gegenwärtig der größte Orden in der katholischen Welt war, waren gewisse Kräfte in der römisch-katholischen Kirche der Meinung, dass die Jesuiten taten, was sie wollten, und das seit Hunderten von Jahren. Sie wurden »die Soldaten des Papstes« genannt, doch es gab seit Jahrhunderten Gerüchte, dass sie in ihrem Orden sogar einen eigenen Anführer wählten und dem Heiligen Vater in Rom nur der Form halber gehorsam waren.
Nun war Tammys Neugier geweckt. »Sind auch andere Priester im Orden deiner Meinung? Ich meine, was die Rolle der Frau betrifft.«
»Verallgemeinerungen sind immer unklug«, erwiderte Peter. »Wie Maureen schon sagte, neigen Menschen dazu, den Klerus über einen Kamm zu scheren; sie setzen voraus, dass wir alle gleich denken, doch das entspricht einfach nicht der Wahrheit. Priester sind auch
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