Das Magdalena-Evangelium: Roman
des Toten Meeres gefahren war, wo der Geburtstag des Herodes Antipas begangen wurde. Herodes hatte gebeten, dass Salome für ihn und seine Gäste tanzen sollte; Anmut und Schönheit des Mädchens waren legendär, und einige Gäste waren von weither gekommen. Der Tetrarch hielt es für seine Pflicht, ihnen den Anblick seiner wunderschönen Stieftochter nicht vorzuenthalten.
Salome glitt in den Saal, in dem die Feier nach römischer Art abgehalten wurde. Sie trug glänzende Seide und Goldketten, die ihr der bewundernde Stiefvater geschenkt hatte. Als sie hereinschwebte, reckten die Gäste die Köpfe, um einen besseren Blick auf die atemberaubende Prinzessin zu erhaschen.
»Du bist das kostbarste Juwel meines Königreiches, Salome«, verkündete ihr Stiefvater. »Komm, tanze für uns. Unsere Gäste möchten deine Anmut bewundern.«
Salome näherte sich Herodes’ Thron an der Festtafel. Sie bot das Bild eines niedlichen, schmollenden Kindes. »Ich weiß nicht, ob ich tanzen kann, Stiefvater. Mein Herz ist so schwer von allem, was ich während meiner Reise ertragen musste, dass ich nicht in der rechten Stimmung zum Tanzen bin.«
Herodias, die auf einem Kissen neben ihrem Ehemann ruhte, richtete sich auf. »Was hat dich so aufgewühlt, mein Kind?«
Salome erzählte eine tränenreiche Geschichte über den grässlichen Mann, den man den Täufer nannte, und wie seine Worte sie überallhin zu verfolgen schienen.
»Wer ist dieser Mann, dieser Täufer?«, fragte ein Gast, ein römischer Adeliger.
Herodes tat Johannes mit einer Handbewegung ab. »Ein Niemand. Ein Messias unter vielen, wie sie dieses Jahr in Mode gekommen sind. Ein Unruhestifter, aber völlig unwichtig.«
Bei diesen Worten brach Salome in Tränen aus und warf sich ihrer Mutter zu Füßen. Schluchzend stieß sie die Schimpfnamen hervor, mit denen der Täufer Herodias belegt hatte. Angst habe sie, denn dieser Prophet habe vorausgesagt, dass Herodes abgesetzt und der Palast mit ihnen allen darin untergehen werde. Der Täufer säe im Volk so viel Hass auf Herodes’ Familie, dass Salome nur noch verschleiert im Gefolge der Nazarener reisen konnte.
»Klingt mir mehr nach einem Aufwiegler als nach einem Propheten«, bemerkte der römische Edelmann. »Um solche Leute sollte man sich möglichst rasch kümmern.«
Herodes war nicht in Stimmung für Politik, konnte es sich jedoch nicht leisten, vor einem römischen Gesandten wie ein Zaudernder dazustehen. Er rief nach seiner Wache und erteilte ihnen den Befehl.
»Verhaftet diesen Mann, diesen Täufer, und bringt ihn zu mir. Ich möchte sehen, ob er den Mut hat, mir diese Dinge ins Gesicht zu sagen.«
Die versammelten Gäste klatschten Beifall und folgten dem Beispiel des Römers, indem sie ihre Gläser erhoben. Salome wischte sich die Tränen aus den Augen und schenkte Herodes Antipas ein süßes Lächeln.
»Welchen Tanz möchtest du sehen, Stiefvater?«
Johannes der Täufer war ein unbequemer Gefangener. Herodes Antipas hatte nicht vorausgesehen, wie sehr die Zahl seiner Anhänger mittlerweile gewachsen war. Jeden Tag wurde der Palast mit Petitionen überschüttet, in denen die Menschen die Freilassung des Propheten forderten. Sie appellierten an Herodesin seiner Eigenschaft als Jude, bettelten um sein Mitgefühl, da er einer der Ihren sei. Weil der Winterpalast in der Nähe von Qumran lag, schickte auch die Essener-Gemeinde täglich Boten, um die Freiheit des rechtgläubigen Häftlings zu erbitten. Es handelte sich hier nicht um einen schlichten örtlichen Propheten, der ohne viel Aufhebens gezüchtigt und mundtot gemacht werden konnte. Johannes der Täufer war weit bekannt.
Herodes selbst übernahm das Verhör und ließ den asketischen Prediger vor seinen Thron bringen. Er erwartete selbstgerechte Antworten und wilde Ausbrüche, wie man sie von einem Wüstenprediger und selbst ernannten Messias gewohnt war. Für Herodes war es eine Art Sport; insbesondere freute er sich darauf, den Mann an den Haken zu bekommen, der seiner Frau und seiner Stieftochter so arg zugesetzt hatte. Zunächst wollte er eine Zeit lang mit dem Gefangenen herumspielen, dann würde er entscheiden, welches Urteil angemessen war.
Doch das Verhör verlief nicht, wie der Tetrarch es geplant hatte. Dieser Mensch namens Johannes war zwar seltsam gekleidet und wirkte nicht besonders zivilisiert, doch seine Worte waren nicht die eines rasenden Irren. Herodes fand, dass er beängstigend intelligent war, vielleicht sogar weise. Johannes
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