Das Magdalena-Evangelium: Roman
verurteilte die Sünder und mahnte zur Buße; er schaute dem Herodes bei der Mahnung, dass jemand mit der Sündenlast des Tetrarchen niemals das Reich Gottes erlangen könne, unerschrocken in die Augen. Doch Herodes, so erklärt er, habe noch Zeit, wenn er seinem ehebrecherischem Weib abschwöre und seine vielen Verstöße gegen die Gebote bereue.
Zum Ende des Verhörs war Herodes über Johannes’ Einkerkerung zutiefst verunsichert. Er wünschte, den Mann freizulassen, konnte es jedoch nicht, ohne vor Rom schwach und unfähig zu erscheinen. War nicht ein römischer Gesandter dabei gewesen, als er den Befehl zu Johannes’ Verhaftung gab? Wenn er jetzt den Gefangenen freiließ, würde man glauben, er sei nicht in der Lage, mit jüdischen Aufwieglern fertig zu werden. Nein,Herodes wagte nicht, den Täufer freizulassen, zumindest noch nicht. Stattdessen lockerte er die strengen Haftbedingungen und erlaubte dem Prediger immerhin, Besucher aus seiner Anhängerschar und der nahen Essener-Gemeinde zu empfangen.
Als Maria davon hörte, schickte sie einen Boten zum Palast und ließ anfragen, ob der Ehemann sie sehen oder etwas über ihr ungeborenes Kind hören wolle. Doch Johannes verschloss sich jeder Mitteilung. Das Einzige, was er Maria während seiner Kerkerhaft übermitteln ließ, waren Worte der Verdammung. Von seinen engsten Anhängern hörte sie, dass Johannes weiterhin die Vaterschaft anzweifelte und für sie nur Verachtung übrig hatte. Er gab seiner jungen Frau die Schuld an seiner Verhaftung, und die glühendsten seiner Anhänger hatten bereits Drohbriefe an ihre Familie geschickt. Endlich gelang es Maria, Bruder und Schwägerin zu überzeugen, dass sie zurück nach Galiläa gehen müsse, um möglichst weit entfernt von dem Täufer und seiner Anhängerschar zu sein. Maria konnte nicht begreifen, wieso ein einziger Akt des Ungehorsams sie in den Augen dieser Leute zu einer Dirne gemacht hatte; doch damit musste sie nun leben. Und sie zog es vor, dies im Refugium ihres Hauses an den Ufern des Sees Genezareth zu tun, näher zu den Nazarenern und ihrer Anhängerschaft.
Johannes führte sein Bekehrerwerk auch von der Zelle aus fort, und sein Ruf und Einfluss im Südteil des Landes wuchsen stetig. Doch das Werk seines Vetters, des charismatischen Nazareners, blühte ebenfalls in den Gegenden nördlich des Jordan und in Galiläa. Johannes’ Jünger brachten ihm Kunde von Isas großen Werken und den Wunderheilungen, die ihm zugeschrieben wurden. Doch sie berichteten auch von seiner Nachsicht gegenüber Nichtjuden und Unreinen. Er hatte sogar eine Ehebrecherin vor der Steinigung bewahrt! Es war überdeutlich, dass Johannes’ Vetter den Gehorsam vor dem Gesetz verloren hatte. Nun war es Zeit für Johannes, seinen Standpunkt klarzumachen.
Auf seinen Befehl hin gingen seine Anhänger zu einer Versammlung der Nazarener. Als Isa vor der Menge stand und mit seiner Predigt beginnen wollte, traten zwei der Boten vor. Der erste sprach, zuerst an Isa, dann an die Menge gewandt.
»Wir kommen von der Zelle Johannes des Täufers. Er bittet, dass wir euch seine Worte ausrichten. Er lässt dir, Jeshua dem Nazarener, sagen, dass er an dir zweifelt. Einst glaubte er, du seiest der von Gott gesandte Messias, doch wie lässt sich deine Duldung der Unreinen mit dem Gesetz vereinbaren? Deshalb fragt er dich: Bist du der, der kommen soll? Oder sollten diese guten Menschen auf einen anderen warten?«
Die Menge wurde unruhig. Für einige seiner Jünger hatte die Taufe Jesu durch Johannes den Ausschlag gegeben, sich den Nazarenern anzuschließen. Jener magische Tag am Ufer des Jordan, als Johannes seinen Vetter als den Auserwählten angekündigt und Gott sein Wohlgefallen in Form einer Taube offenbart hatte, hatte dem Rechten Weg viele neue Anhänger beschert. Doch nun zog Johannes der Täufer seine Unterstützung zurück, indem er die Mission seines Vetters öffentlich anzweifelte.
Jeshua der Nazarener reagierte gleichmütig auf Frage und Kränkung. Er gebot der Menge Schweigen und sagte zu den Menschen: »Es gibt keinen größeren Propheten auf dieser Erde als Johannes den Täufer.« An seine Herausforderer gewandt, fuhr er fort: »Bitte grüßt meinen Vetter herzlich von mir. Geht und sagt ihm, was ihr heute bei uns gesehen und gehört habt.«
Und die Boten sollten vieles zu berichten haben, denn der Führer der Nazarener begab sich in die Menge und heilte die Kranken. An jenem Tage gab er angeblich einem Blinden das Augenlicht
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