Das Magdalena-Evangelium: Roman
er das Kind für seins gehalten hatte. Maria nahm sich seine Worte zu Herzen und betete fortan an jedem Tag ihres langen Lebens um Johannes’ Vergebung. Er hatte sie schlecht behandelt, sie aber trug es ihm nicht nach. Isa und die Hohe Maria hatten sie gelehrt, dass die Vergebung von Gott kam, und Maria hatte diese Lehre getreulich angenommen.
Johannes war ihr von Anfang an ein Rätsel gewesen. Dieser harte Mann hatte nie um das gebeten, was man ihm aufdrängte, hatte nie heiraten wollen. Maria hatte ihr Bestes getan, um sich gemäß den Vorstellungen ihres Mannes als gehorsames Weib zu betragen, aber sie konnte ihn einfach nicht zufrieden stellen. Leider war sie mit dem einzigen Mann in ganz Israel verheiratet, der ihre Qualitäten nicht zu schätzen wusste. Maria war eine schöne, tugendhafte Frau, von Haus aus reich und von königlichem Geblüt. Doch keine dieser Gaben hatte Johannes den Täufer interessiert.
Die Heirat war für beide eine Art Strafe gewesen. Zum Glück waren sie meistens getrennt gewesen und nur auf Druck der Pharisäer zusammengekommen, die Johannes bedrängten, einen Erben zu zeugen. Im Grunde war Johannes mehr vor der Ehe zurückgeschreckt als Maria. Nun war sie von diesen Fesseln erlöst – aber sie hätte alles darum gegeben, wenn die Erlösung auf anderem Wege erreicht worden wäre.
Nicht nur für Johannes’ Verhaftung, auch für seine Hinrichtung wurde Maria verantwortlich gemacht. Die Einzige, die noch mehr verleumdet wurde, war Salome. Man legte der herodianischen Prinzessin schändliche Verbrechen zur Last, darunter auch den Inzest mit ihrem Stiefvater. Sensationslüsterne Geschichten über ihre Sittenlosigkeit wurden verbreitet; sie habe ihren Charme ausgenutzt, um Johannes’ Kopf auf einem Silbertablett zu bekommen. Nichts davon entsprach der Wahrheit. Salome hatte ihre kindliche List benutzt, um Johannes ins Gefängnis werfen zu lassen, hatte aber, wie sie Maria unter Tränen gestand, niemals geglaubt, er werde hingerichtet werden. Sie hatte Johannes nur für einige Zeit aus dem Verkehr ziehen wollen, hatte seinen wachsenden Einfluss beschneiden wollen, damit er Isa und Maria nicht schaden konnte. Salome war letztlich zu jung und unerfahren, als dass sie hätte voraussehen können, dass Johannes’ Verhaftung seine Beliebtheit im Volk nur verstärken würde. Auch hatte sie nicht vorhersehen können, in welche Zwangslage Herodes geraten würde, die ihn schließlich zu dieser grausamen Lösung nötigte.
Ein unbekannter Jünger des Johannes brachte der jungen Witwe Wochen später eine letzte und unerwartete Bußreliquie. Wortlos reichte ihr der Asket einen geflochtenen Weidenkorb und verließ hastig das Haus. Im Korb lag kein Brief, und der Bote hatte es vermieden, ihr in die Augen zu sehen. Neugierig hob Maria den Deckel des Korbs, um zu sehen, was darin lag.
Auf einem seidenen Kissen lag der sonnengebleichte Schädel von Johannes dem Täufer.
Maria bekam vorzeitige Wehen. Im Grunde war es ein Segen; ihr zierlicher Leib hätte das Baby nicht zur Welt bringen können, wenn es ausgetragen gewesen wäre. Und selbst zum vorzeitigen Termin war es ein strammer Junge. Mit zornigem Gebrüll gegen die Schmach irdischer Unzulänglichkeit erblickte er das Licht der Welt. Im Alter von einem Tag war er das leibhaftige Abbild von Johannes. Und jeder, der das beharrliche Schreien des Säuglings vernahm, erkannte in ihm den Vater wieder.
Maria von Magdala schickte Nachricht an die Hohe Maria und Isa, dass ihr Kind sicher zur Welt gekommen sei, und dankte ihnen für ihre Gebete.
Sie nannte das Kind nach seinem Vater Johannes-Josef.
Nach Johannes’ Hinrichtung drängten die Menschen Isa, unter dessen Anhängern seine Stellung deutlich zu machen. Er ging in die Wüstensiedlungen zu den Essenern und Johannes’ Jüngern und predigte in seiner Art vom Reiche Gottes. Einige Essener nahmen Isa als neuen Messias an und folgten ihm, weil er ein Nachkomme Davids war. Viele andere jedoch lehnten seine Nazarener-Reformen ab, da Johannes am Ende seines Lebens harsch über sie geurteilt hatte. Für die Mehrheit der Wüstenbewohner war Johannes der erste und einzige Lehrer der Gerechtigkeit, und jeder, der seinen Platz einnehmen wollte, war ein Betrüger.
Der tiefe Graben zwischen den Anhängern Jesu und Johannes’ wurde in jener frühen Zeit geschaffen. Das Bekenntnis der Nazarener war von Liebe und Vergebung erfüllt, es stand jedem offen, der es annehmen wollte. Die Philosophie des Johannes
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