Das Magdalena-Evangelium: Roman
zerschlagen von den Ereignissen der letzten Tage und dem wachsenden Tribut, den die Schwangerschaft ihrem zierlichen Körper abforderte. Sie setzte sich auf eine steinerne Bank. Salome nahm neben ihr Platz.
»Das habe ich dir mitgebracht.« Salome gab Maria einen Seidenbeutel. »In dem Tiegel ist eine Heilsalbe. Damit kannst du die Schmerzen lindern.«
»Woher hast du es gewusst?«, fragte Maria. Plötzlich fiel ihrauf, dass Salome über etwas Bescheid wusste, dessen Zeugen nur Martha und Lazarus gewesen waren.
Salome zuckte die Achseln. »Er hat es gesehen.« Es konnte nur einen geben, der damit gemeint war. »Er hat mir nicht gesagt, was passiert ist; er sagte nur: ›Bringe deiner Schwester deine beste Heilsalbe. Sie braucht sie unbedingt.‹ Und dann hat er noch gesagt, ich dürfe beim Herkommen nicht gesehen werden, damit Johannes nichts davon erführe.«
Maria wollte beim Gedanken an Isas Voraussicht lächeln, doch der Schnitt in ihrer Lippe vereitelte den Versuch. Salomes Gesicht wurde dunkel vor Zorn, als sie sah, wie ihre Freundin Schmerzen litt. »Warum hat er das getan?«, wollte sie wissen.
»Ich habe ihm nicht gehorcht.«
»Wieso?«
»Weil ich zu der Versammlung der Nazarener gegangen bin.«
Verständnis dämmerte in Salomes Miene auf. »Ah, jetzt sind wir also in den Augen des Täufers der Feind? Ich frage mich, wann er wohl Isa öffentlich verurteilen wird? Das kommt sicher als Nächstes.«
Maria schnappte nach Luft. »Sie sind Verwandte, und Johannes hat bei Isas Taufe öffentlich verkündet, wer er ist. So etwas würde er auf keinen Fall tun.«
»Nein? Da wäre ich nicht so sicher, Schwester.« Salome überlegte. »Meine Mutter meint, Johannes sei so listig wie eine Schlange. Überleg doch mal richtig! Er hat dich geheiratet, um sein Königtum zu legitimieren, und nun trägst du seinen Erben in dir. Er hat meine Mutter als Ehebrecherin gebrandmarkt, er ist gegen sie, weil sie Nazarenerin ist, und benutzt diese Tatsache als Waffe gegen uns. Was wird sein nächster Schritt sein? Er wird Isa öffentlich die Unterstützung entziehen, weil Johannes glaubt, dass wir Nazarener das Gesetz nicht achten. Er wird erst zufrieden sein, wenn er die Lehre des Rechten Weges vernichtet hat.«
»Ich glaube nicht, dass Johannes das tun würde, Salome.«
»Ach nein?« Das Mädchen lachte; es war ein hartes, bitteres Lachen für einen so jungen Menschen. »Du hast nicht so viel Zeit im Palast verbracht wie ich. Es ist unglaublich, was Menschen tun, um vorwärtszukommen.«
Maria seufzte und schüttelte den Kopf. »Ich weiß, du kannst es kaum glauben, aber Johannes ist ein guter Mensch und ein wahrer Prophet. Ich hätte ihn nicht geheiratet, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, und auch mein Bruder hätte sonst niemals seine Einwilligung gegeben. Johannes ist anders als Isa, er ist hart und rau, aber er glaubt ebenso an das Reich Gottes. Er widmet sein Leben den Menschen, die durch Bußfertigkeit und Befolgung der Gebote zu Gott finden sollen.«
»Genauer gesagt, er widmet sein Leben den Männern . Uns Frauen hingegen würde Johannes lieber in seinem kostbaren Fluss ertränken, statt uns Erlösung anzubieten.« Salome zog eine verächtliche Grimasse. »Und er ist zu einer Marionette der Pharisäer geworden, weil er keine eigenen gesellschaftlichen oder politischen Ziele hat. Er schlägt den Weg ein, den sie ihm vorschreiben. Und ich garantiere dir, sie werden ihm noch einreden, dass Isa nie einen Anspruch auf den Thron hatte. Johannes muss aufgehalten werden!«
Maria sah die Freundin an. Etwas an Salomes Worten machte sie nervös, nötigte ihr jedoch gleichzeitig Respekt ab. Salome hatte in den Residenzen ihres Stiefvaters ein grundlegendes Verständnis von Politik erworben.
»Was schlägst du vor?«
Als Maria aufblickte, traf ein Sonnenstrahl ihr Gesicht, beleuchtete erbarmungslos die purpurroten, ins Schwärzliche übergehenden Blutergüsse. Salome erschauerte beim Anblick von Marias schönem, zartknochigem Gesicht mit solchen Verletzungen. Ihre Antwort klang umso entschlossener. »Ich werde Johannes den Täufer für seine Taten an dir, an Isa und an meiner Mutter bezahlen lassen. Auf welche Weise auch immer.«
Bei diesen Worten durchfuhr Maria ein Schauder. Trotz der Mittagshitze war ihr plötzlich eiskalt geworden.
Die Verhaftung des Johannes vollzog sich erschreckend schnell. Viel später erst sollte Maria erfahren, dass Salome nach ihrem Gespräch zum Winterpalast des Tetrarchen in der Nähe
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