Das Magdalena-Evangelium: Roman
machen. Damit wird er mir, Euch und Rom gefährlich.«
Das waren die praktischen Probleme, mit denen Pilatus zu kämpfen hatte. Die philosophische Seite der Angelegenheit war noch schwerer zu fassen.
Welche Kraft beherrschte oder übermittelte dieser Nazarener, dass er ein Kind vom Tode erwecken konnte? Hätte es sich nicht um Pilo gehandelt, hätte Pilatus Isas Wunder für Augenwischerei gehalten und sich den Blasphemievorwürfen der Pharisäer vorbehaltlos angeschlossen. Doch er wusste besser als jeder andere, dass Pilos Krankheit und Missbildung sehr real waren. Oder gewesen waren. Denn jetzt waren sie verschwunden.
Dies bedurfte unbedingt einer Erklärung. Römische Vernunft verlangte eine Antwort, eine Erklärung für das Vorgefallene. Pontius Pilatus war sehr unzufrieden, weil er keine fand.
Seine Frau hingegen fragte nicht nach Verstandesgründen. Sie hatte zwei mächtige Wunder erlebt, sie hatte sich im Glanz der Anwesenheit des Nazareners und seines Gottes gesonnt und sich sogleich zu seinem Glauben bekehrt. Claudia war wütend und enttäuscht, als ihr Gatte ihr nicht erlauben wollte, eine von Isas Predigten in Jerusalem zu hören. Sie wünschte nämlich, dass Pilo diesen erstaunlichen Nazarener kennen lernen sollte. Doch Pilatus sprach sich heftig dagegen aus.
Der römische Prokurator war ein vielschichtiger Mensch, erfüllt von Zweifeln, Furcht und Ehrgeiz. Diese Eigenschaften sollten zur Tragödie des Pontius Pilatus führen, sobald sie alles überwogen, was er an Liebe, Stärke und Dankbarkeit besessen hatte.
Es war schon sehr spät, als die Nazarener am Haus des Josef eintrafen. Isa war wie immer noch hellwach und setzte sich vor demZubettgehen mit seinen engsten Anhängern zu einem letzten Gespräch zusammen. Sie überlegten, was sie am nächsten Tag in Jerusalem tun könnten. Maria blieb und lauschte den Worten, um zu wissen, was der morgige Tag bringen würde. Was sich im Haus des Jairus ereignet hatte, machte deutlich, dass die Menschen in Jerusalem im Hinblick auf Isa, den Messias, geteilter Meinung waren. Es gab zwar mehr Befürworter als Gegner, aber alle nahmen an, dass die Gegner mächtige Männer in der Gefolgschaft der Hohepriester waren.
Judas sprach zu den Versammelten. Er machte einen erschöpften Eindruck, doch die Hochstimmung wegen Smedias Wiedererweckung trieb ihn an.
»Jairus hat mich beiseitegenommen, bevor ich gegangen bin«, erzählte er. »Nun, da er gesehen hat, dass Isa wirklich der Messias ist, will er versuchen, uns zu unterstützen. Er hat mich gewarnt, dass der Rat der Pharisäer und der Sadduzäer durch die Massen der Nazarener-Anhänger beunruhigt ist. Wir sind mehr, als sie sich jemals vorgestellt haben. Sie fürchten uns und werden Maßnahmen ergreifen, wenn sie glauben, dass wir für sie oder für den Frieden des Tempels während des Paschafestes eine Gefahr darstellen.«
Petrus spie angewidert auf den Boden. »Wir wissen doch alle, worum es wirklich geht! Pascha ist für den Tempel die Zeit des großen Profits. Da werden die meisten Opfer gebracht und das meiste Geld gewechselt.«
»Es ist die Erntezeit für Händler und Geldverleiher«, fügte sein Bruder Andreas hinzu.
»Und am meisten profitieren Jonathan Hannas und sein Schwiegersohn«, pflichtete Judas ihnen bei. »Es wird wohl keinen von euch überraschen, dass diese beiden an der Spitze der Kampagne stehen, die uns in Verruf bringen will. Wir müssen jetzt sehr diplomatisch vorgehen, sonst stiften sie Pilatus an, einen Haftbefehl für Isa auszusprechen.«
Isa hielt eine Hand hoch, als die Männer aufgeregt durcheinanderzuredenbegannen. »Friede, meine Brüder«, sagte er. »Wir werden morgen in den Tempel gehen und unseren Brüdern Hannas und Kaiphas zeigen, dass wir sie nicht herausfordern wollen. Wir können friedlich zusammenleben, und keine Lehre muss die andere ausschließen. Wir werden zur Feier der Paschawoche in den Tempel gehen, zusammen mit unseren Nazarener-Brüdern. Sie können uns den Zutritt nicht verweigern, und vielleicht können wir einen zeitweiligen Frieden mit ihnen schließen.«
Judas glaubte nicht so recht daran. »Ich glaube nicht, dass Hannas zu einem Waffenstillstand bereit ist. Er verachtet uns und unsere Lehre. Hannas und Kaiphas wollen mit allen Mitteln verhindern, dass die Leute auf die Idee kommen, sie brauchten den Tempel nicht, um zu Gott zu gelangen.«
Maria erhob sich von ihrem Platz auf dem Fußboden und lächelte Isa quer durch den Raum zu. Er fing ihren Blick
Weitere Kostenlose Bücher