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Das Magdalena-Evangelium: Roman

Das Magdalena-Evangelium: Roman

Titel: Das Magdalena-Evangelium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen McGowan
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auf und erwiderte das Lächeln, dann zog sie sich still durch die Hintertür zurück. Sie war zu müde, um an der Planung einer Strategie teilzunehmen. Und wenn Isa entschlossen war, morgen den Tempel aufzusuchen, würden sie alle vorher ein wenig Schlaf benötigen.
    Wie immer, wenn sie auf Reisen waren, schlief Maria bei den Kindern im Zimmer. Sie war der Ansicht, dies würde ihnen ein Gefühl der Sicherheit geben, das sie bei ihrer oftmals nomadischen Lebensweise dringend brauchten. Beide sahen im Schlaf wie kleine Engel aus: Johannes-Josefs geschwungene schwarze Wimpern beschatteten die olivfarbenen Wangen, und Sarah-Tamar ruhte auf dem Kissen ihrer glänzenden kastanienbraunen Haare.
    Die Mutter widerstand dem Drang, ihre Kinder zu küssen. Besonders Tamar hatte einen leichten Schlaf, und sie wollte keines der beiden aufwecken. Die Kinder brauchten ihren Schlaf, wenn sie morgen nach Jerusalem mitkommen sollten – in diese für kleine Kinder so aufregende und bunte Stadt. Solange es in Jerusalem sicher war, würde Maria es erlauben. Wenn es jedochfür Isa gefährlich wurde, musste sie die Kinder aus der Stadt bringen. Wenn das Schlimmste einträte, wären sie nicht einmal in Josefs Haus mehr sicher. Dann würde sie die Kinder nach Bethanien in die Sicherheit von Marthas und Lazarus’ Heim bringen müssen.
    Endlich begab sich Maria selbst zu Bett und schloss nach diesem ereignisreichen Tag die Augen. Doch der Schlaf wollte nicht kommen, sosehr sie ihn auch herbeisehnte. Zu viele Gedanken und Bilder gingen ihr durch den Kopf. Wieder sah sie die verschleierte Frau vor sich, die vor Jairus’ Haus das Kind auf dem Arm getragen hatte. Zwei Dinge hatte Maria sogleich beim Anblick ihres Gesichts gewusst: Erstens war sie weder Jüdin noch eine Frau aus dem einfachen Volk. Es lag an ihrer Haltung und dem dichten Schleier, beides verriet ihre noble Herkunft. Maria wusste sehr genau, wann sie eine Frau in Verkleidung vor sich hatte – war sie nicht selbst oft genug in einer Lage gewesen, die eine solche Täuschung erfordert hatte?
    Als Zweites war Maria die furchtbare Verzweiflung der Frau aufgefallen. Sie strömte geradezu aus ihr heraus – es war, als flehe der Schmerz selbst Isa um Hilfe an. Als Maria der Frau ins Gesicht gesehen hatte, erkannte sie die Angst vor dem Verlust, wie ihn eine Mutter befällt, die ihr Kind nicht retten kann. Es ist ein Schmerz, der weder Rasse noch Glaube, noch Stand kennt, ein Schmerz, wie ihn nur Menschen mitempfinden können, die ebenfalls Eltern sind. Während der letzten drei Jahre der Verkündigung der Frohen Botschaft hatte Maria hundertfach Gesichter angsterfüllter Eltern gesehen. Doch oft hatte sie auch gesehen, wie sich in einem Gesicht Verzweiflung zu Freude gewandelt hatte.
    Isa hatte viele von Israels Kindern gerettet. Doch nun war ihm zum ersten Mal, wie es schien, die Rettung eines römischen Kindes gelungen.

    Wie besprochen, suchten Isa und seine Anhänger am nächsten Tag den Tempel auf. Maria führte ihre Kinder nach Jerusalem und blieb vor den heiligen Hallen stehen, um das Geschehen zu beobachten. Isa war der Mittelpunkt einer wachsenden Menschenmenge und predigte vom Reich Gottes. Immer wieder wurde er von Männern aus der Menge angerufen und ausgefragt, doch er beantwortete alle Fragen mit seiner üblichen Ruhe. Seine Erwiderungen waren wohlüberlegt und von den Lehren der Heiligen Schrift durchdrungen. Es dauerte nicht lange, dann wurde den Zuhörern deutlich, dass seine Kenntnis der Schrift unangreifbar war.
    Später sollten sie von Jairus hören, dass Hannas und Kaiphas ihre eigenen Agenten in die Menge geschleust hatten, um dem Prediger provozierende Fragen zu stellen. Falls Isas Antworten in irgendeiner Weise als gotteslästerlich ausgelegt werden konnten, und das vor so vielen Zeugen, dann hätten die Hohepriester weitere Beweise, die sie gegen ihn verwenden konnten.
    Ein Mann trat vor, um eine Frage zur Ehe zu stellen. Judas erkannte ihn; er flüsterte Isa ins Ohr, dies sei ein Pharisäer, der seine ältere Frau verstoßen habe, um eine jüngere zu heiraten.
    »Sage mir, Rabbi«, begann der Mann. »Ist es denn gegen das Gesetz, dass ein Mann sein Weib verstößt, wenn er guten Grund dazu hat? Ich habe gehört, dass du dagegen bist, doch das mosaische Gesetz sagt etwas anderes. Moses hat sogar geschrieben, dass man der Frau eine Scheidungsurkunde geben muss.«
    Isa erhob seine Stimme, dass sie laut und klar über den Platz tönte. Er sprach mit Schärfe, denn

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