Das Magdalena-Evangelium: Roman
er wusste von der Verfehlung des Mannes. »Moses hat diesen Grundsatz aufgeschrieben, weil er um die Härte deines Herzens wusste.«
Die Menge bestand hauptsächlich aus Männern von Jerusalem, die diesen Pharisäer kannten. Auf Isas kaum verhüllten Vorwurf hin entstand Unruhe unter den Versammelten. Aber erwar noch nicht fertig. Er war dieser korrupten Pharisäer überdrüssig, die wie dekadente Könige von den Gaben frommer, armer Juden lebten. Die gegenwärtigen Priester, Männer, die eigentlich untadelige Vertreter des Gesetzes sein sollten, waren in seinen Augen nichts als Heuchler. Sie predigten ein reines Leben, billigten sich selber jedoch etwas ganz anderes zu. Während der letzten Jahre seines Wirkens hatte Isa allmählich erkannt, dass das Volk von Jerusalem von diesen Männern eingeschüchtert wurde; die Macht der Pharisäer wurde ebenso sehr gefürchtet wie die Macht Roms. Auf vielfältige Weise waren diese Männer des Tempels ebenso gefährlich für den gewöhnlichen Juden wie die Römer, denn sie besaßen die Autorität, in das alltägliche Leben einzugreifen.
»Hast du nicht die Heilige Schrift gelesen?« Isas Frage war ein weiterer Angriff auf diesen Mann, den er als Priester kannte. Dann wandte er sich der lauschenden Menge zu. »Denn Er, der die Menschen am Anfang als Mann und Frau erschaffen hat, spricht: ›Darum wird der Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und sich an seine Frau binden, und die zwei werden ein Fleisch sein.‹ Sie sind also nicht mehr zwei, sondern eins. Was aber Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen. Und ich sage dir: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, und eine andere heiratet, der begeht Ehebruch.«
»Wenn das so ist, sollte ein Mann vielleicht lieber gar nicht heiraten«, scherzte ein Mann in der Menge.
Isa lachte nicht. Die Heiligkeit der Ehe und die Bedeutung der Familie waren Eckpfeiler der Nazarener-Lehre. Er widersprach mit Nachdruck. »Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht, und manche haben sich selbst dazu gemacht. Nur für diese kommt eine Ehe nicht infrage. Allen aber, die fähig sind, soll das Sakrament der Ehe zuteil werden, denn dies ist der Wille des Herrn, unseres Gottes. Und so soll der Mann seiner Frau verbunden sein, bis dass der Tod sie scheidet.«
Getroffen schlug der Pharisäer zurück. »Und was ist mit dir, Nazarener? Das Gesetz Mose besagt, dass jeder Mann, der Gesalbter sein will, eine Jungfrau heiraten muss und niemals eine Dirne oder eine Witwe.« Dies war ein offener Angriff auf Maria Magdalena, die ein wenig abseits der Menge mit ihren Kindern stand. Sie hatte sich für schlichte Kleidung entschieden, um in der Menge nicht aufzufallen, und trug nicht den roten Schleier ihres Priesterinnenamtes. In diesem Augenblick war sie froh darüber, als sie auf Isas Antwort wartete.
Die bestand in einer Gegenfrage an den Pharisäer. »Bin ich aus dem Stamme Davids?«
Der Mann nickte. »Das steht außer Frage.«
»Und war David nicht ein großer König und ein Gesalbter unseres Volkes?«
Auch dies bestätigte der Pharisäer; er wusste genau, dass er gerade in die Falle tappte, doch ihm fiel nicht ein, wie er sich wieder herauswinden sollte.
»Und würdest du nicht fordern, dass ich David nacheifern soll, da ich doch sein Erbe bin? Wer ist unter euch, der es nicht für ehrenvoll hielte, in Davids Fußstapfen zu treten?« Isas Stimme schallte weithin über die Menge, die durch Nicken und Gesten bestätigte, dass es in der Tat ein nobles Unterfangen wäre, sich nach dem Vorbild des großen Löwen zu formen.
»Denn genau dies habe ich getan. Wie David die Witwe Abigail, eine edle Tochter Israels, zur Frau nahm, so habe ich eine Witwe aus edlem Geblüt zum Weib genommen.«
Der Pharisäer, der wusste, dass er in seine selbst gelegte Falle getappt war, versank beschämt in der Menge. Aber so leicht ließen sich die Abgesandten des Tempels nicht abspeisen. Weitere Fragen wurden auf Isa abgefeuert, und seine Antworten glichen zunehmend scharfen, spitzen Pfeilen, die gegen die Pharisäer gerichtet waren. Noch ein Mann, ganz offen ins Priestergewand gekleidet, nahm Isa unter Beschuss. »Ich habe gehört, dass du und deine Schüler euch nicht an die Überlieferung der Altenhaltet. Warum waschen sie sich nicht die Hände, wenn sie Brot essen?«
Die Menge war während dieser letzten Wortwechsel immer unruhiger geworden. Ablehnung lag in der Luft, und Isa
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