Das Magdalena-Evangelium: Roman
Strafe rechtfertigt.«
»Sie nennen ihn einen Aufrührer. Wenn Rom ihn als Bedrohung empfindet, kann ich ihm nicht das Leben schenken.«
»Aber du weißt doch, dass es nicht wahr ist!«
Pilatus schlug die Augen nieder. Er holte tief Luft, dann wandte er sich wieder seiner Frau zu. »Claudia, ich weiß nicht mehr ein noch aus! Dieser Mensch widerspricht sämtlicher Vernunft und Logik, wie sie in Rom gelehrt wird. Jede Philosophie, die ich studiert habe, muss vor diesem Problem kapitulieren. Mein Herz sagt mir, dass er unschuldig ist, und einen Unschuldigen sollte ich nicht verurteilen.«
»Dann tu es auch nicht! Warum ist das so schwer? Du hast doch die Macht, ihn zu retten, Pontius. Rette den Mann, der unseren Sohn geheilt hat.«
Pilatus fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Es ist schwer, weil Herodes seine Hinrichtung fordert, und zwar heute noch.«
»Herodes ist ein Schakal!«
»Wohl wahr, aber er ist der Schakal, der heute Abend nach Rom reist und die Macht hat, mich bei Tiberius in Misskredit zu bringen. Dieser Mann kann unser Untergang sein, Claudia. Ist es das denn wert? Sollen wir für das Leben eines unwichtigen jüdischen Rebellen unsere Zukunft aufs Spiel setzen?«
»Er ist kein Rebell!«, entgegnete Claudia.
Sie wurden von Herodes’ Boten unterbrochen, der Pilatus zurück zum Tribunal rief. Als er sich zum Gehen wandte, packte Claudia seinen Arm.
»Pontius, ich hatte einen furchtbaren Traum! Bitte, ich habe Angst um dich und um Pilo, wenn du diesen Mann nicht rettest. Der Zorn Gottes wird über uns kommen.«
»Mag sein. Aber welcher Gott? Soll ich etwa glauben, dass der Gott der Juden Rom beherrscht?«, fragte er. Als der Bote nocheinmal bat, er möge zum Richtstuhl zurückkehren, sah Pilatus seine Frau eindringlich an. »Es ist eine Zwangslage, Claudia. Die größte Herausforderung, der ich mich jemals stellen musste. Glaube nicht, dass ich die Last weniger spüre als du.«
Er kehrte auf den Richterthron zurück, um den Gefangenen zu verhören. Claudia schaute von ihrem Versteck hinter dem Vorhang zu.
»Die höchsten Priester deines Landes haben dich mir ausgeliefert und fordern deinen Tod«, sagte Pilatus zu dem Nazarener. »Was hast du getan? Bist du der König der Juden?«
Isa antwortete mit seiner üblichen Ruhe. Ein zufälliger Beobachter hätte nie erraten, dass von seiner Antwort sein Leben abhing. »Sagst du das von dir aus, oder haben es dir andere über mich gesagt?«
»Antworte auf meine Frage. Bist du ein König? Wenn du sagst, dass du es nicht bist, übergebe ich dich wieder den Priestern; dann sollen sie dich nach eurem Gesetz richten.«
Da meldete sich Hannas. »Wir haben keine Gesetze, jemanden hinzurichten, Prokurator. Deswegen sind wir zu Euch gekommen. Wenn dieser Mann nicht ein gefährlicher Missetäter wäre, hätten wir Eure Erhabenheit niemals damit behelligt.«
»Der Gefangene beantworte die Frage«, sagte Pilatus, den Einwurf des Hannas ignorierend.
Und das tat Isa; er schaute Pilatus dabei in die Augen. Während Claudia den Blickwechsel beobachtete, hatte sie das starke Gefühl, dass die beiden die Anwesenheit der anderen nicht wahrnahmen. Dies war eine Angelegenheit zwischen ihnen beiden, ein Tanz um Schicksal und Glauben, der den Lauf der Welt verändern sollte. Claudia spürte es an dem Schauder, der durch ihren Körper fuhr.
»Dazu bin ich geboren und in die Welt gekommen, dass ich meinem Volk den Weg Gottes zeige und für die Wahrheit Zeugnis ablege.«
Darauf sprang der römische Philosoph in Pilatus an. »DieWahrheit«, sinnierte er. »Sage mir, Nazarener: Was ist Wahrheit?«
Lange Zeit blickten die beiden einander in die Augen, verstrickt in ihr gemeinsames Geschick. Dann wandte Pilatus den Blick ab und wendete sich an die Priester.
»Ich sage Euch, was die Wahrheit ist. Ich finde keinen Grund, ihn zu verurteilen.«
In diesem Augenblick wurde der Prokurator durch die Ankündigung eines Neuankömmlings unterbrochen. Die Verhandlung wurde unterbrochen, denn Jairus betrat den Hof und begrüßte die anderen Priester. Er entschuldigte seine Verspätung damit, dass er Vorbereitungen für das Paschafest habe treffen müssen.
»Mein guter Jairus.« Pilatus war erleichtert, den Tempelgesandten zu sehen, der sein Freund geworden war. Sie teilten ein Geheimnis, und jeder wusste vom Schmerz des anderen. »Ich habe Euren hier anwesenden Brüdern gesagt, dass ich an diesem Mann keinen Fehl finde und ihn nicht
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