Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Magdalena-Evangelium: Roman

Das Magdalena-Evangelium: Roman

Titel: Das Magdalena-Evangelium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen McGowan
Vom Netzwerk:
vielstimmige Chor sang: »Gekreuzigt unter Pontius Pilatus, gekreuzigt unter Pontius Pilatus.«
    Claudia sah ihren geliebten Pilo zu Boden stürzen. Das letzte Bild vor dem Aufwachen war, dass Isa sich über ihn beugte und ihn aufhob. Er trug Pilo davon, ohne sich nach den anderen umzusehen, die nun ebenfalls stürzten. Dann sah Claudia Pontius in ohnmächtiger Wut dem Nazarener hinterherschreien, der Pilos leblosen Körper davontrug. Blitze zerrissen den Himmel, während der Gesang sie den Hügel hinab begleitete.
    »Gekreuzigt unter Pontius Pilatus.«
    »Ans Kreuz mit ihm!« Ein greller Schrei. Doch nicht der unheimliche Gesang aus dem Albtraum, sondern ein realer Ausdruck des Hasses, der durch die dicken Mauern der Festung Antonia drang. »Ans Kreuz mit ihm!«
    Claudia stand auf, um sich anzukleiden. In diesem Augenblick trat der griechische Sklave in ihr Zimmer.
    »Meine Herrin, Ihr müsst kommen, bevor es zu spät ist. Der Herr sitzt im Richterstuhl, und die Priester lechzen nach Blut.«
    »Was höre ich denn da draußen?«
    »Den Pöbel. Für die frühe Stunde sind es viele. Die Männer des Tempels müssen die ganze Nacht auf den Beinen gewesen sein, um ihre Getreuen zusammenzuscharen. Das Urteil wird gesprochen sein, bevor die übrige Bevölkerung überhaupt Gelegenheit hat, sich zu Gunsten Eures Nazareners zu versammeln.«
    Claudia kleidete sich geschwind und ohne ihre übliche Sorgfalt an. Heute legte sie keinen sonderlichen Wert auf ihre Erscheinung; sie musste nur anständig gekleidet sein, um vor den Männern des Anklagetribunals zu bestehen. Während sie einen Blick in den Spiegel warf, kam ihr plötzlich ein Gedanke.
    »Wo ist Pilo? Er schläft doch noch, nicht wahr?«
    »Ja, meine Herrin. Er liegt noch im Bett.«
    »Gut, dann bleibe bei ihm, und sorge dafür, dass er in seinem Zimmer bleibt. Wenn er aufwacht, halte ihn so gut wie möglich von den Mauern fern. Ich will nicht, dass er irgendetwas von dem sieht oder hört, was heute in der Stadt vorgeht.«
    »Natürlich, Herrin«, antwortete der griechische Sklave, und Claudia eilte aus ihrem Gemach zur wichtigsten Mission ihres Lebens.

    Ihre Verzweiflung und ihren Abscheu so gut wie möglich verbergend betrat Claudia Procula den Innenhof der Festung, der behelfsmäßig in einen Gerichtssaal umgewandelt worden war. Dies war eine Konzession von Pilatus an die Hohepriester, die die römischen Amtsräume nicht hatten betreten wollen, um vor dem Paschafest nicht unrein zu werden. Der Hof war vonWänden umgeben und abgeschieden, der Pöbel jenseits der Mauern konnte nicht sehen, was darin vorging. Pontius Pilatus hatte seinen hohen römischen Richtstuhl in den Hof bringen lassen und darauf Platz genommen. Hinter ihm standen zwei Wachsoldaten, der blauäugige Praetorus und jener grobe Mann, den Claudia nicht leiden konnte – Longinus. Pilatus zur einen Seite saßen Kaiphas und Hannas, auf der anderen Seite Herodes. Auffällig war, dass Jairus, der Mittelsmann des Tempels, nicht dabei war.
    Auf dem Boden vor ihnen kniete, in Fesseln und blutend, Isa der Nazarener.
    Von ihrem Platz hinter dem Vorhang starrte Claudia ihn an. Auch er blickte auf, als habe er ihren Blick gespürt. Ihre Blicke verschränkten sich ineinander, eine Ewigkeit, wie ihr schien. In diesem Moment spürte Claudia wieder dasselbe Gefühl von Licht und reiner Liebe wie an jenem Abend, als Pilo geheilt wurde. Sie hatte weder den Wunsch, den Blick abzuwenden, noch die Wärme dieses Mannes zu verleugnen. Spürten die anderen es denn nicht? Wie konnten sie in diesem engen Hof stehen und unberührt bleiben vom Strahlen dieser Sonne, dieses heiligen Wesens?
    Claudia räusperte sich, um ihren Ehemann von ihrer Anwesenheit in Kenntnis zu setzen. Pilatus auf seinem Thron blickte auf und sah sie. »Meine Herren, wollt Ihr mich bitte entschuldigen«, sagte er, erhob sich und ging zu seiner Frau. Claudia zog ihn außer Hörweite. Furcht befiel sie, als sie das aschfahle Antlitz ihres Mannes gewahrte. Trotz der Morgenkühle stand ihm der Schweiß auf Stirn und Schläfen.
    »Ich kann hier keine einfache Lösung erkennen, Claudia«, sagte er leise.
    »Pontius, du kannst nicht zulassen, dass sie diesen Mann töten. Du weißt doch, was er ist.«
    Pilatus schüttelte den Kopf. »Nein, ich weiß nicht, was er ist, und das macht es ja so schwer, ein Urteil zu fällen.«
    »Aber du weißt, dass er ein Mann ist, der gute Werke im ganzen Land getan hat. Du weißt, er hat kein Verbrechen begangen, das diese schwere

Weitere Kostenlose Bücher