Das Magdalena-Evangelium: Roman
sagte ihnen, sie sollten sehr tapfer sein und sich um ihre Mutter kümmern. Dann küsste er beide und sagte: »Denkt daran, meine Kleinen: Was auch geschieht, ich werde immer bei euch sein.«
Als die Zeit fast verstrichen war, umarmte er Maria Magdalena ein letztes Mal. »Höre mir zu, meine Taube. Es ist sehr wichtig. Wenn ich meine irdische Hülle verlassen habe, darfst du mich nicht festhalten. Du musst mich mit der Überzeugung gehen lassen, dass ich im Geiste immer bei dir sein werde. Schließe nur deine Augen, und schon bin ich bei dir.«
Maria versuchte, sich trotz ihrer Tränen ein Lächeln abzuringen, bemühte sich darum, tapfer zu sein. Ihr Herz war zerrissen, sie war wie betäubt vor Schmerz und Angst, aber sie würde es ihm nicht zeigen. Ihre Stärke war das letzte Geschenk, das sie ihm geben konnte.
Da erschien Praetorus, um Isa mitzunehmen. Die blauen Augen des Zenturio waren rot gerändert. Isa sah dies und tröstete den Mann. »Tu, was deine Pflicht ist.«
»Du wirst es noch bedauern, dass du diese Hand geheilt hast«, sagte der Zenturio mit erstickter Stimme.
Doch Isa schüttelte den Kopf. »Nein. Ich würde den Besitzer dieser Hand lieber als Freund ansehen. Wisse nun, dass ich dir vergebe. Aber gewähre mir bitte noch einen letzten Augenblick mit den Meinen.«
Praetorus nickte und verließ den Raum.
Isa wandte sich wieder an seine Kinder und legte eine Hand aufs Herz. »Denkt daran, dass ich immer hier wohnen werde.« Beide nickten feierlich. Johannes’ dunkle Augen waren weit aufgerissen und voller Ernst, die Augen der kleinen Tamar standen voller Tränen, vielleicht sogar voll Verständnis für den Ernst der Lage.
Dann wandte sich Isa wieder an Maria und flüsterte: »Versprich mir, dass sie nichts zu sehen bekommen von den Dingen, die heute geschehen. Und ich will auch nicht, dass du es siehst. Doch wenn es zu Ende geht …«
Maria ließ ihn nicht ausreden. Sie warf die Arme um ihn und presste sich ein letztes Mal an ihn, brannte Körper und Geist die Erinnerung ein, wie er sich als Mensch angefühlt hatte. Dieseletzte Erinnerung würde sie ein Leben lang lebendig halten. »Dann werde ich für dich da sein«, wisperte sie. »Was auch kommen mag.«
»Ich danke dir, meine Maria«, sagte Isa und löste sich sanft von ihr. Bei den letzten Worten lächelte er so zuversichtlich, als käme er am Abend zum Essen nach Hause. »Du wirst mich nicht vermissen, weil ich gar nicht von dir gehe. Es wird besser sein als jetzt, denn danach werden wir nie mehr getrennt sein …«
Maria und die Kinder wurden von Claudia Proculas griechischem Sklaven aus der Festung Antonia geführt. Maria fragte, ob sie sich persönlich bei Claudia bedanken könne, aber der Sklave schüttelte den Kopf und antwortete in seiner Muttersprache: »Meine Herrin ist über die heutigen Ereignisse sehr betrübt. Sie hat mir aufgetragen, Euch zu sagen, dass sie Euch nicht empfangen kann. Sie hat alles versucht, um ihn zu retten.«
»Sage ihr, dass ich das weiß. Und Isa weiß es auch. Und sage ihr, ich hoffe, sie eines Tages kennen zu lernen, damit ich ihr von Angesicht zu Angesicht danken kann, auch in seinem Namen.«
Der Grieche nickte bescheiden und machte sich auf den Weg zu seiner Herrin.
Maria und die Kinder tauchten in das Getümmel der Vorbereitungen für das Paschafest von Jerusalem ein. Es war wichtig, dass sie die Kinder von der Festung fortbrachte; wenn es zur Geißelung kam, mussten sie so weit wie möglich fort sein. Das sichere Haus, das Salome ihnen zur Verfügung gestellt hatte, lag ganz in der Nähe. Maria beschloss, zu Martha zu gehen und sie zu bitten, die Kinder nach Bethanien zurückzubringen.
Die Hohe Maria und die beiden älteren Marien waren im Haus, Martha jedoch nicht. Sie hatte sich auf die Suche nach Maria und den Kindern begeben, da sie nicht sicher war, ob siezum Haus zurückkehren würden. Maria Magdalena fiel nun die schwere Aufgabe zu, Isas Mutter von den Geschehnissen des Morgens zu berichten. Die Hohe Maria nickte. Tränen stiegen in ihre gealterten Augen, in denen so viel Weisheit und Mitgefühl stand. »Er hat es lange vorausgesehen. Wir beide haben es gesehen«, sagte sie schließlich.
Die beiden Frauen beschlossen, hinauszugehen und sich durch den Pöbel Jerusalems zu drängen. Sie würden Martha finden und dafür sorgen, dass die Kinder in Sicherheit gebracht wurden – und dann würden sie Isa suchen. Wenn er heute noch verurteilt und gekreuzigt werden sollte, würden sie ihn nicht
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