Das Magdalena-Evangelium: Roman
verurteilen kann.«
Jairus nickte weise. »Ich verstehe.«
Kaiphas warf Jairus einen Blick zu und sagte: »Du weißt genau, wie gefährlich dieser Mann ist.«
Jairus schaute seinen Mitpriester an und dann den Pilatus, sorgsam vermied er jeden Blick auf den Gefangenen. »Aber wir sind doch in der Paschazeit, meine Brüder. Eine Zeit der Gerechtigkeit und des Friedens für unser Volk.« Zu Pilatus sagte er: »Kennt Ihr den Brauch, dem wir zu dieser Festzeit stattgeben?«
Pilatus hatte eine Ahnung, worauf Jairus hinauswollte, und ergriff die Gelegenheit. »Ja, natürlich. Jedes Jahr zum Fest erlaube ich Eurem Volk, einen Gefangenen zur Freilassung auszuwählen, um die Milde Roms zu zeigen. Sollen wir diesen Gefangenen vor das Volk bringen und es nach seiner Meinung fragen?«
»Ein ausgezeichneter Vorschlag!«, stimmte Jairus zu. Er wusste, dass Kaiphas und Hannas in die Enge getrieben waren und dieses großzügige Angebot Roms nicht ablehnen konnten. Er wussteaber auch, dass die Menge gespickt war mit Anhängern der Hohepriester – und mehr als ein paar Halunken, die gut bezahlt worden waren, um als wütender Pöbel gegen den Nazarener zu wüten, sollten sie es für nötig halten. Jairus hoffte nur, dass auch die Nazarener inzwischen eingetroffen waren und eine ebenso große Anhängerschaft aufbringen konnten.
Pilatus bedeutete den Zenturionen, den Gefangenen hinaus auf den Festungswall zu bringen. Kaiphas und Hannas entschuldigten sich mit dem Hinweis, dass sie an diesem Morgen lieber nicht in Gesellschaft von Römern gesehen werden wollten, jedoch zurückkehren würden, sobald die Entscheidung feststehe. Pilatus argwöhnte, dass sie ihre Anhänger unter dem Pöbel anstacheln wollten, doch er konnte nichts dagegen tun. Jairus fing seinen Blick auf und ließ sich ebenfalls entschuldigen. Die beiden Männer tauschten einen bedeutungsvollen Blick, bevor jeder sich an seine Pflichten begab.
Pilatus verlas die Ankündigung vor der Menge. »Ihr seid gewohnt«, tönte seine Stimme durch den Jerusalemer Morgen, »dass ich euch am Paschafest einen Gefangenen freilasse.« Grob wurde Isa neben Pilatus gezerrt. Der römische Statthalter funkelte Longinus ob seiner unnötigen Brutalität wütend an. »Genug!«, zischte er leise, bevor er sich wieder der Menge zuwandte. »Wollt ihr also, dass ich euch den König der Juden freilasse?«
Tumult entstand in der Menge, viele Stimmen suchten einander zu überschreien. Eine Stimme hob sich deutlich heraus: »Wir haben keinen König außer dem Kaiser!« Eine andere rief: »Lass Barrabas, den Zeloten, frei!« Dieser Vorschlag wurde begeistert von der Menge aufgenommen.
Tapfer ertönten auch die Rufe: »Lasst den Nazarener frei!«, doch ohne Erfolg. Die Anhänger des Tempels waren hervorragend abgerichtet worden und skandierten nun im Chor: »Barrabas, Barrabas, Barrabas!«
Pilatus blieb nichts übrig, als den von der Menge geforderten Gefangenen freizulassen. Barrabas der Zelot war frei, um dasPaschafest zu feiern, Isa der Nazarener aber wurde zur Geißelung verurteilt.
Claudia Procula stellte sich ihrem Mann in den Weg, als er den Wall herabstieg. »Du willst ihn geißeln lassen?«
»Friede, Frau!«, herrschte Pilatus sie an und zog sie grob beiseite. »Ich werde ihn öffentlich auspeitschen lassen, Longinus und Praetorus sollen daraus eine Schau machen. Es ist unsere letzte Chance, sein Leben zu retten. Vielleicht ist dann ihr Blutdurst gestillt und sie hören auf, nach seiner Kreuzigung zu rufen.« Er seufzte schwer und lockerte seinen Griff. »Mehr bleibt mir nicht übrig, Claudia.«
»Und wenn es ihnen nicht reicht?«
»Stell die Frage nicht, wenn du die Antwort nicht wissen willst.«
Claudia nickte. Das hatte sie bereits vermutet. »Pontius, ich möchte dich noch um eines bitten. Die Familie dieses Mannes – seine Frau und seine Kinder – stehen an der Rückseite der Festung. Ich möchte nur, dass du die Geißelung lange genug aussetzt, damit sie ihn noch einmal sehen können. Es könnte für ihn die letzte Gelegenheit sein, noch einmal mit seinen Lieben zu sprechen. Bitte!«
Pilatus nickte kurz. »Ich kann sie aufhalten, aber nicht lange. Praetorus soll den Gefangenen nehmen. Ihm kann ich deinen Nazarener anvertrauen. Longinus werde ich zu dem öffentlichen Spektakel vorausschicken.«
Pontius Pilatus hielt Wort und ließ Isa in Gemächer an der Rückseite der Festung bringen, wo er Maria und die Kinder sehen durfte. Isa umarmte den kleinen Johannes und Tamar und
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