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Das Magdalena-Evangelium: Roman

Das Magdalena-Evangelium: Roman

Titel: Das Magdalena-Evangelium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen McGowan
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können.«
    Praetorus schaute an Isas Kreuz hoch. »Es ist nicht notwendig, dass ihr diesem Mann die Beine brecht. Er ist bereits tot.«
    »Bist du sicher?«, fragte einer der Soldaten. »Normalerweise dauert es Stunden, bis einer durch die Kreuzigung erstickt, manchmal sogar Tage.«
    »Dieser Mann ist tot«, knurrte Praetorus. »Ihr werdet ihn nicht anrühren.«
    Die beiden Soldaten waren klug genug, um die Warnung im Ton ihres Vorgesetzten zu verstehen. Sie nahmen ihre Knüppelund begannen mit der unerfreulichen Aufgabe, die Beine der beiden anderen Gekreuzigten zu zerschlagen, um bei ihnen den Erstickungstod herbeizuführen.
    Praetorus war zu beschäftigt, Befehle zu geben, und sah daher nicht, wie Longinus sich von der anderen Seite dem Kreuz näherte. Als er seine blauen Augen wieder auf Isas Kreuz richtete, war es bereits zu spät. Longinus hatte seine Lanze gezückt und stieß sie dem Nazarener in die Seite. Maria Magdalena schrie vor Empörung auf.
    Longinus’ Lachen war hart und grausam. »Wollte nur sichergehen. Aber du hast recht. Er ist tot.« Er musterte Praetorus, der vor Wut erbleicht war. »Was willst du jetzt noch dagegen machen?«
    Praetorus lag eine scharfe Erwiderung auf der Zunge, doch er besann sich. Seine folgenden Worte sprach er mit großer Ruhe. »Nichts. Ich muss nichts dagegen tun. Du hast dich durch deine Tat selbst verdammt.«

    »Nehmt diesen Mann ab!«, befahl Praetorus.
    Ein Läufer war aus Pilatus’ Festung gekommen mit der Botschaft, den Leichnam des Nazareners abzunehmen und vor Sonnenuntergang seiner Familie auszuhändigen. Dies war sehr ungewöhnlich, denn normalerweise wurden die Gekreuzigten am Holz gelassen, um dort zu verfaulen, als Mahnung an das Volk. Doch der Fall Isas, des Nazareners, lag anders.
    Isas wohlhabender Onkel Josef, der Zinnhändler, war mit Jairus in die Festung Antonia gekommen und hatte mit Claudia Procula gesprochen; sie hatte dafür gesorgt, dass sie den Leichnam sofort bekommen konnten, um ihn zu begraben. Nun erschien Josef unter dem Kreuz und tröstete die Hohe Maria, während ihr Sohn vom Kreuz abgenommen wurde. Isas Mutter streckte ihre Arme aus, als die Soldaten den Toten bargen.
    »Ich möchte mein Kind ein letztes Mal halten«, bat sie.
    Praetorus nahm Isas Leichnam und legte ihn sanft auf den Schoß der Mutter. Sie drückte ihn an sich und weinte um ihren wunderbaren Sohn, den sie verloren hatte. Maria Magdalena kniete an ihrer Seite, und die Hohe Maria hüllte sie beide ein, einen Arm um ihre Schwiegertochter gelegt, den anderen um Isas Kopf.
    In dieser Haltung verharrten sie lange.

    Josef hatte für seine Familie eine Grabstätte auf einem Friedhof nicht weit von Golgatha gekauft. Dorthin brachten die Nazarener Isas Leichnam. Myrrhe und Aloe wurden von Nikodemus, einem jungen Nazarener in Josefs Diensten, zum Grab gebracht. Die Marien bereiteten den Leichnam auf das Begräbnis vor, indem sie die Leinenbinden zurechtlegten. Als aber der Zeitpunkt gekommen war, Isa mit Myrrhe zu salben, reichte die Hohe Maria die Schale an Magdalena. »Diese Ehre gebührt dir allein«, sagte sie.
    Magdalena übernahm ihre Witwenpflichten an der Leiche des Ehemannes. Sie küsste Isa auf die Stirn und sagte ihm Lebewohl; ihre Tränen vermischten sich mit dem Myrrhenöl. Während sie ihn salbte, vermeinte sie schwach, aber deutlich seine Stimme zu hören: »Ich werde immer bei dir sein.«
    Gemeinsam verabschiedeten sich die Frauen von Isa und verließen die innere Grabkammer. Sie hatten eine gewaltige Steinplatte beschaffen lassen, die das Grab versiegeln und Isas sterbliche Überreste schützen sollte. Mit Hilfe mehrerer starker Männer und einem Flaschenzug aus Seilen und Holzplanken wurde die schwere Platte vor das Grab gerückt. Nachdem diese letzte Aufgabe erfüllt war, begaben sich die niedergeschlagenen Hinterbliebenen in die Sicherheit von Josefs Haus. Als sie angekommen waren, brach Maria Magdalenavor Erschöpfung zusammen und schlief bis weit in den folgenden Tag hinein.
    Am Samstagnachmittag kamen einige der männlichen Apostel zu Josefs Haus, um Magdalena und die älteren Marien zu sehen. Sie erzählten von den Ereignissen des Vortages, trauerten gemeinsam und trösteten einander. Es war eine Zeit der Verzweiflung, und doch stärkte sie die Bindungen untereinander, schuf einen festen Zusammenhalt unter den Nazarenern. Noch war es zu früh, die Zukunft der Bewegung zu planen, doch das Bewusstsein ihrer Einigkeit war Balsam für ihre verletzten

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