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Das Magdalena-Evangelium: Roman

Das Magdalena-Evangelium: Roman

Titel: Das Magdalena-Evangelium: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathleen McGowan
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beschwerlichen Weg durch die Menge.

    Nur unter großen Schwierigkeiten kam Maria in der Menge vorwärts. Sie schaffte es, mit dem Pöbel auf gleicher Höhe zu bleiben, kam aber nicht zu Isa durch. Immer wieder sah sie in dem Menschenhaufen den roten Schleier der Hohen Maria und folgte ihr den kurvenreichen Weg hinauf nach Golgatha. Sie versuchte aufzuschließen, wurde aber immer weiter zurückgedrängt, weil die Menschen ihre Schritte beschleunigten, um der Beute auf den Fersen zu bleiben.
    Als die Zenturionen den Gipfel des Hügels erreichten, der »Schädelstätte« genannt wurde, sah Maria, dass sie ihr mindestens hundert Meter voraus waren. Dort oben waren die zusammengesunkene Gestalt Isas und der rote Schleier seiner Mutter. Immer noch versperrte die Menge ihr den Weg. Doch nun spielte das keine Rolle mehr, nichts zählte mehr, außer zu Isa zu gelangen. Maria umging den Pöbel, verließ den Pfad und begann die Felsen hinaufzusteigen. Hier gab es spitze Steine und Dornenranken, aber Maria Magdalena spürte es nicht mehr. Alle Empfindungen waren betäubt außer der Sehnsucht, zu Isa zu gelangen.
    Da sie nichts als ihr Ziel vor Augen hatte, wurde Maria nicht gewahr, dass sich der Himmel verdunkelt hatte. Sie rutschte auf einem Stein aus; die untere Hälfte ihres Schleiers zerriss,und die Dornen eines Busches zerkratzten ihr Bein. Während ihres Sturzes vernahm sie es: abscheuliche, furchtbare Hammerschläge, die sie von nun an jede Nacht ihres Lebens hören sollte; der Klang von Metall auf Metall; der Hammer, der auf den Nagel traf. Maria hörte einen Schrei der Verzweiflung, als sie erneut strauchelte – doch erst später begriff sie, dass sie selbst geschrien hatte.
    Nun war sie schon so nah gekommen, dass nichts mehr sie aufhalten konnte. Als Maria sich mühsam erhob, nahm sie benommen wahr, dass der Fels nass war; Wasser strömte an ihm herab. Aus dem Nichts waren schwarze Wolken aufgetaucht, und Regen tropfte wie göttliche Tränen auf die ausgedörrte, verdammte Erde, wo soeben der Sohn Gottes an ein hölzernes Kreuz geschlagen worden war.

    Wenige Augenblicke später erreichte Maria Magdalena den Fuß des Hügels, an dem ihre Schwiegermutter und die Frauen, die mit ihr gekommen waren, beisammenstanden und sich gegenseitig Beistand leisteten. Noch zwei andere Männer hatten an diesem Tage auf dem Hügel Golgatha die Kreuzigung erlitten; sie hingen rechts und links von Isa an ihren Querbalken. Maria gönnte ihnen keinen Blick, sie hatte nur Augen für Isa. Entschlossen mied sie jeden Blick auf seine Wunden und sah ihm stattdessen ins Gesicht, das mit seinen geschlossenen Augen einen unglaublichen Frieden ausstrahlte. Die Frauen beteten zu Gott, dass er Isa von seinen Leiden erlösen möge. Maria schaute sich um und sah, dass sie sonst niemanden in der hier versammelten Menge kannte – und die männlichen Apostel hatte sie während des ganzen Tages nicht zu Gesicht bekommen.
    Die Römer hielten den größten Teil der Menge von der Hinrichtungsstätte fern. Maria schaute zu den Zenturionen hinüber und sah Praetorus an ihrer Spitze. Mit einem stillen Gebetdankte sie ihm – zweifellos war er dafür verantwortlich, dass die Familie am Fuße des Kreuzes in Ruhe gelassen wurde.
    Sie fuhren erschrocken zusammen, als Isa vom Kreuz herab zu sprechen versuchte. Es kostete ihn unglaubliche Mühe, da sein Zwerchfell von seinem Körpergewicht eingequetscht wurde und er kaum in der Lage war, gleichzeitig zu atmen und zu sprechen. »Mutter …«, flüsterte er. »Siehe, dein Sohn.«
    Die Frauen traten näher heran, um Isa besser verstehen zu können. Blut floss aus seinem gemarterten Leib und mischte sich mit den Regentropfen, die die Gesichter der Frauen netzten. »Mein Liebstes«, sprach er zu Magdalena. »Siehe, deine Mutter.«
    Dann schloss er die Augen und sagte leise, aber deutlich: »Es ist vollbracht.« Er neigte sein Haupt und regte sich nicht mehr.
    Schweigen herrschte; eine große Erstarrung. Alle standen reglos. Da wurde der Himmel vollkommen schwarz – es waren nicht Regenwolken, sondern eine Finsternis brach herein, in der kein Licht mehr war.
    Die Menge auf dem Hügel verfiel in Panik, Schreie zerrissen die Luft. Doch die Finsternis dauerte nur einen Moment und lichtete sich dann zu einem öden Grau. In diesem Augenblick schritten zwei Soldaten auf Praetorus zu.
    »Wir haben Order, den Tod dieser Gekreuzigten zu beschleunigen, damit ihre Leichen vor dem morgigen Sabbat der Juden abgenommen werden

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