Das Magdalena-Evangelium: Roman
las.
»Werdet unverzüglich mit dieser Nazarener-Angelegenheit fertig, denn ich fahre frühzeitig nach Rom mit dem Wissen, dass ich dem Kaiser einen guten Bericht geben kann, wie Ihr mit den Feinden Roms verfahrt.«
Es war der letzte Schlag für Pontius Pilatus. Wieder las er die Rolle und sah das Blut, in das sie getaucht war: Es war das Blut des Nazareners, das nun auch an seinen Händen klebte. Er rief nach einem Diener und ließ sich eine Silberschüssel mit Wasser bringen. Pilatus tauchte seine Hände hinein und wuschsie, versuchte zu übersehen, wie sich das Wasser rot färbte vom Blut des Gefangenen.
»Ich bin unschuldig am Blut dieses Menschen!«, schrie er der Menge entgegen. »Dann kreuzigt ihn doch, euren König, wenn ihr so fest dazu entschlossen seid!« Ohne einen weiteren Blick auf Isa machte er auf dem Absatz kehrt und stürzte in die Festung.
Doch es war noch nicht vorbei für Pontius Pilatus. Einige Momente später kam Kaiphas mit einigen Männern des Tempels zu ihm.
»Habe ich heute noch nicht genug für Euch getan?«, hielt Pilatus dem Hohepriester vor.
»Fast, Euer Erhabenheit.« Kaiphas lächelte selbstgefällig.
»Was wollt Ihr noch von mir?«
»Gemäß der Tradition soll ein Zeichen am Kreuz hängen, eine Tafel, die über das Verbrechen des Verurteilten Auskunft gibt. Wir möchten, dass Ihr ›Gotteslästerer‹ auf die Tafel schreiben lasst.«
Pilatus ließ die nötigen Materialien kommen. »Ich werde schreiben lassen, wofür ich ihn verurteilt habe. So will es die Tradition.«
Und er schrieb auf die Tafel: INRI , und darunter die Bedeutung in lateinischer Sprache – IESVS NAZARENVS REX IVDAEORVM . Isa, der Nazarener, König der Juden.
Pilatus schaute seinen Diener an. »Sorge dafür, dass dieses Schild über dem Gefangenen an das Kreuz genagelt wird. Und weise den Schreiber an, dass er es auf Hebräisch und Aramäisch dazusetzt.«
Kaiphas war entsetzt. »So könnt Ihr das nicht schreiben! Wenn Ihr schon so etwas schreiben müsst, dann schreibt: ›Er hat gesagt: »Ich bin König der Juden«‹, damit die Menschen wissen, dass wir ihn nicht als solchen verehren.«
Pilatus war fertig mit diesem Mann und seinen Machenschaften, ein für alle Mal. Seine Antwort triefte vor Gift. »Was ich geschrieben habe, bleibt geschrieben.«
Und er kehrte dem Kaiphas und den anderen den Rücken und zog sich in seine stillen Gemächer zurück, wo er sich für den Rest des Tages einschloss.
Die Menge wogte und bewegte sich wie etwas Lebendiges, riss Maria und die Kinder mit. Beide fest an der Hand haltend, mühte sie sich auf der Suche nach Martha durch die Menge. Aus dem Gerede der Leute entnahm sie, dass Isa verurteilt worden war und sich bereits auf dem Weg zu seiner Hinrichtung nach Golgatha befand. Marias Blick überflog den Zug, der sich durch die Straßen wälzte; dort, wo die größte Bewegung war, schätzte sie, musste Isa sein. Verzweiflung überfiel sie. Sie musste unbedingt Martha finden, musste die Kinder in Sicherheit wissen, bevor sie die letzten Stunden mit Isa verbringen konnte.
Und dann hörte sie ihn; Isas Stimme tönte so klar in ihren Ohren, als stünde er neben ihr. »Bittet, dann wird euch gegeben. Es ist so einfach. Wir müssen den Herrn, unseren Vater, um das bitten, was wir wollen, und er wird es seinen geliebten Kindern geben.«
Maria Magdalena drückte die Hände ihrer Kinder und schloss die Augen. »Bitte, gütiger Gott, bitte hilf mir, Martha zu finden, damit meine Kinder in Sicherheit sind, wenn ich meinem geliebten Isa in der Zeit seines Leidens beistehe.«
»Maria! Maria, hier bin ich!« Nur Sekunden nach dem Gebet drang Marthas Stimme durch die Menge. Maria öffnete ihre Augen und sah, wie Martha sich durch die Menschen zu ihr drängte. Überglücklich schlossen sie einander in die Arme. »Du trägst den roten Schleier, daran habe ich dich erkannt«, sagte Martha.
Maria kämpfte gegen die Tränen. Dafür war jetzt keine Zeit, doch Martha zu sehen war so eine Erleichterung. »Komm, kleine Prinzessin«, sagte Martha zu ihrer Nichte und nahm Tamar aufden Arm. »Und du auch, junger Mann«, sagte sie und griff nach Johannes’ Hand.
Maria umarmte beide Kinder noch einmal und versicherte ihnen, sie werde so bald wie möglich nach Bethanien kommen. »Geh mit Gott, Schwester«, flüsterte Martha ihr zu. »Wir geben auf deine Kinder Acht, bis du zu uns kommen kannst. Pass auf dich auf!« Sie küsste ihre jüngere Schwägerin und machte sich mit den Kindern auf den
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