Das Magdalena-Evangelium: Roman
weißen Band mit dem fett gedruckten Titel: MAGDALENA . »Das ist auch von einer Einheimischen geschrieben worden. Die Autorin hat sich eine Menge Mühe gegeben, die hiesigen Mariensichtungen zu untersuchen, aber sie hat auch viel an allgemeinem Material zusammengetragen. In diesem Buch findet sich tatsächlich das gesamte Spektrum an Magdalena-Theorien, und ich muss sagen, dass einige von ihnen sogar für meinen Geschmack zu weit übers Ziel hinausschießen. Aber es ist eine faszinierende Lektüre, und Sie werden das Buch nirgends sonst finden, da es nie vertrieben worden ist.«
»Ich nehme es natürlich«, sagte Maureen ein wenig geistesabwesend. Ihre Gedanken waren an mehreren Orten zugleich. »Warum ausgerechnet McLean? Was denken Sie? Ich meine, von allen Orten in Amerika, warum kommt sie ausgerechnet hierher?«
Rachel lächelte und zuckte mit den Schultern. »Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Vielleicht gibt es auch andere Orte in Amerika, wo so etwas geschieht, nur dass die Leute es für sich behalten. Oder vielleicht hat dieser Ort etwas Besonderes. Was ich jedoch weiß, ist Folgendes: Menschen mit einem spirituellen Interesse am Leben von Maria Magdalena tauchen früher oder später in McLean auf. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele Leute schon in diesem Laden waren und nach Büchern über sie gesucht haben. Und wie Sie hatten sie vorher keine Ahnung, dass diese Stadt überhaupt etwas mit Magdalena zu tun hat. Das kann doch nicht nur Zufall sein, oder? Ich glaube, dass Maria ihre Gläubigen hierherlockt, nach McLean.«
Maureen dachte einen Augenblick lang darüber nach, bevor sie erwiderte: »Wissen Sie …«, begann sie langsam und formulierte den Gedanken noch einmal neu. »Als ich meine Reise geplant habe, hatte ich die feste Absicht, in Washington, D.C. , zu bleiben. Ich habe dort einen guten Freund, und es wäre ein Leichtes gewesen, für die Signierstunde nach McLean zu fahren. Washington ist auch wegen der Flugverbindungen sinnvoller. Doch in letzter Minute habe ich mich entschlossen, hier zu übernachten.«
Rachel grinste. »Sehen Sie? Maria hat Sie hierhergebracht. Versprechen Sie mir nur, mich anzurufen und mir davon zu erzählen, wenn Sie Ihnen irgendwo begegnet.«
»Haben Sie sie je gesehen?« Maureen musste es einfach wissen.
Rachel tippte auf die pinkfarbene Broschüre in Maureens Hand. »Ja, und da finden Sie eine Beschreibung, wie die Visionen in meiner Familie von einer Generation zur anderen weitergegangen sind.« Sie sprach in überraschend sachlichem Tonfall. »Beim ersten Mal war ich noch sehr jung. Vier oder fünf, glaube ich. Es war im Garten meiner Großmutter, am Schrein. Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, war Maria allein. Die zweite Vision hatte ich als Teenager. Das war ›am Straßenrand‹, wie wir hier sagen, und es war Maria mit Jesus. Es war sehr seltsam. Ich fuhr in einem Wagen voller Mädchen, und wir befanden uns auf dem Nachhauseweg von einem Footballmatch in der Schule. Es war Freitagabend. Meine älteste Schwester Judith saß am Steuer, und als wir um eine Kurve bogen, sahen wir einen Mann und eine Frau. Judith bremste ab, um zu sehen, ob die beiden vielleicht Hilfe brauchten. Da habe ich dann erkannt, was es war. Sie standen einfach nur da, eingefroren in der Zeit, doch ein Leuchten umgab sie wie ein übernatürlicher Glanz.
Nun, Judith regte sich tierisch auf und begann zu weinen. Dann fragte das Mädchen auf dem Beifahrersitz, was los sei und warum wir angehalten hätten. Da wurde mir klar, dass dieanderen Mädchen sie nicht sehen konnten. Nur meine Schwester und ich haben sie gesehen.
Lange Zeit habe ich mich gefragt, ob unsere Visionen vielleicht genetisch bedingt sein könnten. Meine Familie hatte schon so viele gehabt, und ich hatte nun auch den Beweis dafür, dass wir Dinge sehen konnten, die anderen verborgen blieben. Ich weiß es immer noch nicht. In jedem Fall gibt es auch andere Leute hier, die ebenfalls Visionen hatten, aber noch nicht einmal entfernt mit mir verwandt sind.«
»Haben nur Frauen diese Visionen gehabt?«
»Oh, ja. Das habe ich ganz vergessen. Jedes Mal, wenn Maria allein gesehen wurde, war es meines Wissens nach von einer Frau. Mit Jesus zusammen ist sie beiden Geschlechtern erschienen. Es ist zwar selten, aber auch Männer haben sie erblickt. Oder vielleicht ist es auch gar nicht mal so selten, nur dass Männer nicht gern in der Öffentlichkeit darüber reden.«
»Ich verstehe.« Maureen nickte. »Rachel, wie klar
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